ABGEBROCHENER AST AN EINEM ALTEN GINKGO

Ginkgo biloba (Umfang 2,15 Meter, Alter circa 170 Jahre), der bei einem der letzten Stürme einen starken Ast einbüßen musste. Wir haben ihn zunächst nur notdürftig zurückschneiden lassen, um die Verkehrssicherheit wiederherzustellen. Haben Sie Erfahrungen damit, wie sich alte Ginkgo-Bäume bei Verletzung verhalten? Wie ist das Abschottungsvermögen oder die Empfindlichkeit Pathogenen gegenüber? Wie toleriert der Baum einen größeren Schnitt?

Zusatzinformationen zum Standort

Der Standort ist sicherlich suboptimal: Druckbelastung im Wurzelbereich, teilweise sind Schäden der flach streichenden Wurzeln vorhanden. Direkt benachbart steht eine Winterlinde, deren Krone 2014 moderat eingekürzt wurde, um dem Ginkgo mehr Raum zu geben. Im Übergangsbereich der beiden Kronen ist nämlich dort ein Starkast abgestorben – vermutlich wegen Lichtmangel.

Antwort von Johannes Bilharz:

UNTERSCHIEDLICHE PFLEGEMASSNAHMEN

Vielen Dank für die Anfrage und die Bilder. Sie sagen, die Verkehrssicherheit ist gegeben. Das heißt, es wäre zeitlich erst mal ein Puffer vorhanden bezüglich weiterer Maßnahmen. Einzig die Parkbesucher könnten sich wundern oder beschweren, was sicherlich zu verschmerzen ist (?!). Das würde es ermöglichen, die Schnittkorrekturen und -eingriffe ins frühe Frühjahr zu verlegen.

Notwendigkeit von Maßnahmen

Die Öffnung der Baumkrone durch die Astausbrüche macht die verbliebene Krone anfälliger für Windlasten (beziehungsweise gefährliche Schwingungen). Dieser Gefahr kann begegnet werden, indem man entweder die Windlast durch Reduzierung der Höhe vermindert oder indem man die Windangriffsfläche in der Peripherie durch Verringerung der Hebelmasse reduziert (Verschlankung).

Ausführungszeitraum

Als Zeitpunkt für diese Maßnahme eignet sich – in diesem Fall – das Frühjahr, vor dem Blattaustrieb. Ein Schnitt zum jetzigen Zeitpunkt würde die Reservestoffeinlagerung reduzieren (fehlende Blattmasse). Ausreichend Reservestoffe sind gerade für ältere und zudem noch geschädigte Bäume wichtig für die Überwinterung und den Neuaustrieb im Frühjahr. Ein Schnitt im Winter würde die Wundreaktionen zu lange hinauszögern, was die Abschottung verschlechtert (Bildung von Schutzzonen).

Ich empfehle einen Schnitt vor oder nach dem Blattaustrieb. Vor dem Blattaustrieb ist zwar schon ein Teil der in Wurzel und dicken Stammteilen eingelagerten Reservestoffe in die Feinastbereiche ausgelagert. Das heißt, man schneidet wichtige Reservestoffe für den Neuaustrieb weg. Aber normalerweise verbleiben bei moderatem Schnitt und vitalen Bäumen noch genügend Reservestoffe, so dass die Wuchsminderung überschaubar bleibt. Der Beginn des Blattaustriebs wäre für den Schnitt suboptimal, da die anfängliche Austriebsphase physiologisch sehr heikel ist. Nach dem Hauptblattaustrieb ist es dann wieder relativ unproblematisch, weil in dieser Phase genügend Blattmasse für Baumreaktionen zur Verfügung steht und die durch Schnitt eingebüßte Blattmasse durch Neuzuwachs schnell kompensiert werden kann.

Schnittmaßnahmen

Die Länge der Äste muss beim Korrektur- und Erhaltungsschnitt nicht unbedingt durch Kappung im Starkholzbereich reduziert werden. Dies gilt zumindest für die unteren Astpartien. Denn bei den unteren Ästen ist die Windlast nicht so entscheidend, wohl aber die Hebelmasse. Diese kann durch Schlankschnitt deutlich reduziert werden. Beim Verschlanken entnimmt man in der Peripherie die dickeren Triebe. Das bedeutet, man lässt hinsichtlich Alter und Stärke die Triebe nach außen hin jünger und dünner werden. Damit verbunden ist auch eine Reduktion der Knospenzahl in der Peripherie. Diese Knospen haben eine höhere Anziehungskraft für Nährstoffe, die dann den weiter innen liegenden Knospen fehlen. Reduziert man die Knospenzahl in der Peripherie, fördert das den Trieb in den hinteren Astregionen.

Bei den steileren Ästen spielt die Höhe hinsichtlich Windlast schon eher eine Rolle. Aber auch hier ist es ein Unterschied, ob am Ende eines Hauptastes eine riesige Ansammlung an Trieben eine große Hebelkraft bewirkt (große Windangriffsfläche) oder ob dieser Ast „schlank“ ausläuft (geringe Hebelmasse und geringe Windangriffsfläche).

Achtung: Das mögliche Ausmaß der Verschlankung hängt entscheidend von der Beastungssituation im hinteren Starkastbereich ab. Denn für eine geringe Windanfälligkeit benötigt der Baum viele Äste (Schwingungssysteme). Je mehr Äste unterschiedlich schwingen, desto geringer neigt der Gesamtast dazu, sich gefährlich „aufzuschwingen“. Viele Äste mit verschiedenen Schwingungsfrequenzen wirken als Schwingungsbremse und verhindern die gefährliche Resonanzfrequenz. Ein Starkast darf also nie durch Schlankschnitt „blank geschnitten“ werden. Eine kniffelige, nicht ganz einfache Angelegenheit!

Sicherung der Krone

Der Einbau einer Kronensicherung kann sinnvoll sein. Das zu entscheiden, bedarf einer Begehung und Einsichtnahme vor Ort. Die Sinnhaftigkeit oder Möglichkeiten lassen sich direkt am Baum meist einfacher und viel besser erkennen. Anhand des Bildmaterials kann ich lediglich vermuten, dass es schwer werden dürfte, sichere Ankerpunkte für die Anbringung der Kronensicherung zu finden. Der mittlere Stämmling erscheint mir aufgrund der tiefgelegenen Ausbruchstelle und der damit verbundenen Schwächung der anderen Stämmlinge nicht sicher genug.

Möglicherweise empfiehlt es sich, die waagerechten oder sehr ausladenden, freigestellten Äste durch A-Stützen (umgekehrtes V) zu sichern. Die Stützen sollten gefedert sein, so dass der Ast nicht direkt „gestützt“, sondern nur „unterstützt“ wird und schwingen kann. Das ist wichtig, da der Ast so spürt, dass er Druck- oder Zugholz zur Stabilisierung bilden muss. Läge er einfach nur auf einer Stütze, würde der Ast darauf verzichten, aktiv Holz zur Stabilisierung zu bilden. Ich kenne derzeit jedoch keinen Fall, wo solche gefederten Stützen zur Anwendung gekommen wären. Vielleicht gibt es das schon. Ansonsten ist es erst einmal nur eine nicht erprobte Lösungstheorie in meinem Kopf.

Die Stützen sähen sicherlich nicht schön aus. Bei einem 170 Jahre alten Naturdenkmal wäre es aber sicherlich lohnenswert, die Optik hinten anzustellen und würde mit Sicherheit auch von Parkbesuchern akzeptiert. Es hat ja auch jede/r Verständnis dafür, wenn alte Leute am Stock gehen oder mit einem Rollator unterwegs sind. Ob Stützen allerdings wirklich notwendig sind, kann ich rein vom Bildmaterial her nicht abschließend beurteilen.

Abgebrochene Aststümpfe entfernen?

Ob es besser ist, den abgebrochenen mittleren Stämmling am Stammansatz abzusetzen oder stehen zu lassen, kann ich ebenfalls nicht genau beurteilen. Denn auf den Bildern kann ich die Astansatzstelle nicht genau erkennen. Die fehlende Rinde am abgebrochenen Stämmling deutet zumindest darauf hin, dass der abgestorbene Bereich bereits unterhalb der Astansatzstelle liegt. Alles was abgestorben ist, kann nicht reagieren. Einen toten Ast nachzuschneiden, ist nicht problematisch, solange dabei kein lebendes Gewebe verletzt wird.

Wäre es mein Baum, würde ich den abgebrochenen Aststumpf stehen lassen. Mich stört der Anblick nicht. Überwallen kann eine derart große Schnittstelle sowieso nicht mehr. Möglicherweise hemmt der abgebrochene Aststumpf die Aushöhlung ins tiefergelegene, gesunde Holz. Ob das so ist und viel bringt, weiß ich allerdings auch nicht wirklich. Es ist nur eine Vermutung. In Ballungsgebieten und öffentlichen Parks löst der Anblick möglicherweise Diskussionen aus. Deshalb könnte ich auch verstehen, wenn Sie sich entschließen, den Aststumpf abzusägen. Eine uneingeschränkte Akzeptanz für einen abgebrochenen Aststumpf kann man in der Bevölkerung nicht voraussetzen. Ästhetik ist schließlich keine objektive Angelegenheit und fachlich gibt es dafür noch keine einheitliche Empfehlung.

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Die Antwort von Björn Bauroth:

NEUEN AUSTRIEB PROVOZIEREN

Ich war eine Weile in Japan. Dort gibt es in jedem Tempel einen uralten Ginkgo: Die Bäume gelten als heilig. Sie werden zwar sehr stark zurückgeschnitten, zeigen aber ein gutes Abschottungsverhalten und sind zäh. Die nördlichen japanischen Inseln sind unserem Klima sehr ähnlich und so würde ich Parallelen zulassen:

Pflege: Die oberen Astpartien würde ich – so weit das optisch vertretbar ist – einkürzen und auslichten, um dann ein Nachtreiben des Baums in tieferen Regionen der Krone zu provozieren. Wenn das klappt, kann man dann in einigen Jahren die Krone weiter zurücknehmen und der Baum wird kompakter – ohne seinen Habitus vollständig aufgeben zu müssen.

A-Stützen wären eine Möglichkeit. Es geht aber vielleicht auch mit zwei Auffangsicherungen, die den Ast in zwei Richtungen halten. Die Entscheidung würde ich von Art und Zustand der Astanbindung am Stammkopf abhängig machen.

Autor: Björn Bauroth, Fachagrarwirt Baumpflege und Baumsanierung (PLZ 85354)

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Antwort von Gerhard Weyers:

SCHNITTE IM FEINASTBEREICH

Johannes Bilharz hat meines Erachtens alles Wesentliche zur möglichen Behandlung des alten Ginkgos gesagt. Zu den offenen Fragen (Stützen) kann ich leider auch nichts sagen. Zum Schlankschnitt habe ich aber noch Ergänzungen zu den Arbeiten im Detail.

Wie Johannes Bilharz bereits erwähnt hat, ist es aus verschiedenen Gründen wichtig, beim Schnitt im Außenbereich nicht zu viele (potentielle) Blätter wegzuschneiden, da der Baum im Inneren ziemlich kahl ist. Den Hinweis („Eine knifflige, nicht ganz einfache Angelegenheit“), dass beim ersten Eingriff nicht zu stark verschlankt werden darf, kann ich nur unterstreichen. Entscheidend für die künftige Pflege (auf Dauer sollte der Baum im Außenbereich weiter verschlankt und teilweise eingekürzt werden) ist, dass sich weiter innen genügend Triebe neu bilden, so dass bei zukünftigen Eingriffen im Außenbereich die Äste nach dem Schnitt nicht verkahlt sind.

Für die Neubildung dieser künftigen Triebe sind zwei Punkte ausschlaggebend:

  1. Durch die Reduzierung der Knospenzahl und der wachsenden Triebspitzen wird die Aktivität der (ruhenden) Knospen in inneren Kronenbereichen verstärkt oder angestoßen (siehe auch Schlankschnitt). Dabei spielt es eine große Rolle, dass die Hemmung durch bestimmte Hormone aufgehoben wird.
  2. Eine Aufhebung der Hemmung oder die Aktivierung durch Hormone allein reicht oft nicht aus, um Knospen ausreichend zu aktivieren, der Baum muss auch hinsichtlich seines Vitalitätszustandes in der Lage dazu sein. Hier ist eine Anregung des Energiestoffwechsels eine entscheidende Grundvoraussetzung.
    Diese Anregung geschieht vorwiegend dadurch, dass dort, wo im Baum bereits Blätter vorhanden sind, mehr Assimilate gebildet werden als bisher. Das tritt ein, wenn die durchschnittliche Länge der Jahrestriebe beim Altbaum deutlich zunimmt. Diese Aussage gilt nicht für wüchsige Bäume, die bereits relativ lange Jahrestriebe (ca. 20 Zentimeter und mehr) aufweisen, sondern für Bäume mit geringem Zuwachs (0,1 bis 4 Zentimeter) – also bei Bäumen mit Tendenz zum Vergreisen.
    Beim Schnitt heißt dies konkret, dass besonders diejenigen Äste und Triebe verbleiben, welche ;die durch Schnitt verursachte Wuchsanregung schnell in zusätzlichen Neutrieb (Blattbildung) im Frühjahr umsetzen können. Man lässt also vorwiegend die steiler stehenden Äste/Triebe stehen und diejenigen, die gegenüber den umgebenden Ästen/Trieben längere Jahrestriebe aufweisen – zum Beispiel zwei Zentimeter Jahrestrieb, gegenüber nur einen halben Zentimeter Jahrestrieb.

Eine ausreichende Zahl wachsender Triebspitzen im Frühjahr und Frühsommer ist auch wichtig, um die Bildung vieler Total-Reiterate aus Adventivknospen zu vermeiden. Die Bildung vieler stark wachsender „Wasserreiser“ ist nicht nur wegen deren schlechten Verankerung und der daraus resultierende0n, statischen Probleme unerwünscht, sondern auch wegen der Belastung des Energiestoffwechsels des Baums bei deren Entstehung.

Für den Baumpfleger bedeutet dies, dass er fast ausschließlich ganz außen im Fein- und Feinstastbereich schneiden sollte. In dem Maße, wie sich weiter innen neue Triebe bilden, kann der Eingriff im Außenbereich stärker werden. Das bedeutet, dass man in der Regel drei bis sechs Jahre braucht, um die wichtigsten Pflegeziele am alten Baum zu erreichen. Die Bildung neuer Triebe im Inneren der Baumkrone tritt oft nicht im Frühjahr nach dem Schnitt ein, da die dazu notwendigen Veränderungen im Stoffwechsel (zum Beispiel Bildung von Assimilaten in ausreichender Menge) Zeit brauchen. Die verzögerte Wirkung eines Eingriffs sagt also nichts aus über dessen Qualität und Erfolg.

Die Wiederbegrünung im Inneren der Baumkrone in Kombination mit einer verstärkten Bildung von Assimilaten wirkt sich günstig auf die Wurzelbildung aus. Ein besseres Wurzelwachstum wiederum verbessert die Vitalität des Baums.

Vielleicht ist das Gesagte überflüssig, weil es für viele Baumpfleger möglicherweise selbstverständlich ist. Mir scheint aber gerade im vorliegenden Falle wichtig zu sein, dass es weniger darauf ankommt, dass etwas gemacht wird, sondern wie etwas gemacht wird. Die Ausführung im Detail entscheidet über den Erfolg der Maßnahme.

Autor: Gerhard Weyers, Baumpfleger (PLZ: 88696)

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