Funktionale Baumpflege bei grosskronigen Obstbäumen mit Schlankschnitt

Bei der Technik des Schlankschnitts handelt es sich um eine spezielle Form eines Auslichtungsschnitts, der sich günstig auf die Funktionen eines Obstbaums auswirkt – zum Beispiel auf dessen Vitalität, Stabilität und Nutzbarkeit. Dabei werden gezielt baumeigene Steuerungsmechanismen eingesetzt.

Viele ungepflegte Bäume haben sich zu instabilen, bruchgefährdeten und wenig vitalen Bäumen entwickelt. Lebensdauer und Baumgesundheit sind oft eingeschränkt. Fast immer sind solche Bäume schlecht zu nutzen und bringen unregelmäßige Erträge mit unzureichend versorgten und daher wenig gehaltvollen Früchten. Ein unausgeglichener Zustand eines Baums kann ebenso durch eine unsachgemäße Kronenpflege hervorgerufen oder verstärkt werden. Ein typisches Beispiel ist ein überbordendes Triebwachstum, ausgelöst weniger durch starke, sondern vor allem durch physiologisch ungünstig wirkende Schnittmaßnahmen. In Teilen verdichtete, instabile Kronen sowie eine gestörte Fruchtbarkeit sind auch hier die Folge.

Die Vorteile des Schlankschnittes

Der besondere Vorteil des Schlankschnitts liegt in seiner ausgleichenden Wirkung auf die physiologischen Prozesse des Baums. Übermäßiges Triebwachstum wird maßvoll vermindert, vergreiste Bäume werden revitalisiert. Beim Schlankschnitt wird nicht grundsätzlich wenig geschnitten. Kronenauslichtungen im Umfang von 30 bis 40 % des Fein- und Schwachastanteils sind in der Praxis nicht nur üblich, sondern oft auch notwendig, um eine stabile und für die Nutzung günstige Krone herzustellen (Bosch 2010). Der Schlankschnitt ermöglicht dies, ohne dass es in Folge zu unerwünschten Reaktionen des Baums kommt (z. B. Bildung starker „Wassertriebe“, Ertragsminderung).

Die Technik des Schlankschnitts kann bei fast allen Kronenformen außerhalb des strengen Formobstbaus und bei fast allen einheimischen Baumarten angewandt werden. Sehr oft bleibt die Ausdehnung der Krone dabei erhalten, der Eingriff kann aber auch mit einer Kroneneinkürzung (Absetzen auf Zugast) verbunden sein.

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Vorgehensweise Schlankschnitt

(in Anlehnung an die Methode Bilharz)

Um einen Ast als Ganzes schlank zu schneiden, wählt man zunächst in dessen äußeren Bereich einen Ast oder Trieb aus, der als neue Spitze definiert wird. Dieser sollte lang sein und nicht angeschnitten werden. Alle anderen Äste oder Triebe im Umfeld, die aufgrund ihrer Länge, ihres Durchmessers oder ihrer Lage im Raum eine Konkurrenz zur ausgewählten Spitze sind oder es in absehbarer Zeit werden können, werden vollständig entfernt (Wegschnitt, Triebvereinzelung), sie werden nicht eingekürzt (Rückschnitt, Anschnitt). Ebenso verfährt man mit den Ästen, die sich weiter unten (innen) befinden. Bei Seitenverzweigungen, die nicht entfernt werden, wendet man das Prinzip des Schlankschnitts auch innerhalb dieser Seitenverzweigung selbst an. Mit der Intensität des Schnitts kann die hierarchische Position dieser Äste in Relation zur ausgewählten Spitze und zu benachbarten Seitenästen beeinflusst werden.

Da der Schlankschnitt einen hohen Grad an Auslichtung ermöglicht, wird die statische Situation der einzelnen Äste und der gesamten Krone deutlich verbessert. Einkürzungen werden deshalb oft überflüssig.

Rückschnitt zum „Zugast“

Ist dennoch ein Rückschnitt erforderlich, wählt der Baumpfleger zunächst bei dem einzukürzenden Ast eine Seitenverzweigung als „Zugast“ aus, auf die zurückgeschnitten wird. Ein Zugast ist laut ZTV-Baumpflege ein „nach-geordneter Ast, der beim Einkürzen eines übergeordneten Astes stehen gelassen wird, um das Abschotten und Überwallen der Schnittfläche zu fördern sowie die Leitfunktion für den verbleibenden Astteil zu übernehmen“ (ZTV 2006).

Damit der Zugast die Leitfunktion übernehmen kann, sollte es sich möglichst um einen relativ steil stehenden Ast handeln. Die Angabe „steil“ ist nicht als feste Winkelangabe, sondern relativ zur entfernten und zur verbleibenden Astpartie zu sehen. Auch bei einer Einkürzung wird der Schlankschnitt innerhalb des Zugastes und in den übrigen, nach unten bzw. innen anschließenden Teilen des Astes durchgeführt. Die Anwendung des Schlankschnitts auf einen Hauptast oder auf den Baum als Ganzes erfordert häufig das Entfernen von relativ starken Seitenästen in den oberen und äußeren Teilen eines Baums oder Astes. Im Hinblick auf die Gesichtspunkte Abschottung und Ausfaulen stellt sich oft die Frage, bis zu welcher Stärke die Äste noch entnommen werden können. Die Antwort darauf hängt von vielen Faktoren ab. Als ein wichtiger Anhaltspunkt gilt: Je größer eine Schnittverletzung ist, umso weiter außen in der Krone sollte sie sein. Zumeist werden die Pflegeziele bereits mit zwei bis drei Pflegeeingriffen verteilt über drei bis sechs Jahre erreicht.

Dominanz der Terminalknospe sicherstellen

Bei einem älteren Baum werden Äste und Triebe entweder ganz entfernt oder belassen. In besonderen Fällen lässt man einen Stummel stehen. Beim Jungbaum hingegen werden aus verschiedenen Gründen (Stabilisierung des Astes, Förderung der Verzweigung, Erschweren der Blütenbildung im Außenbereich etc.) häufig die Vorjahrestriebe an der Spitze der Stammverlängerung, an den Spitzen der Gerüstäste und der davon abzweigenden Äste – sofern ein Baumpfleger ihnen eine gerüstbildende Funktion zuordnet („Fruchtast“) – angeschnitten. Damit es durch dieses Anschneiden nicht zur Bildung mehrerer relativ gleichrangiger Triebe im Bereich der Schnittstelle kommt, sollten – abgesehen von einer eventuellen Ersatzknospe (Reserveknospe) – die Knospen, die unmittelbar auf die neu bestimmte Terminalknospe folgen, entfernt werden, damit die Dominanz der neuen Terminalknospe eindeutig hervortritt.

Falls eine Ersatzknospe ausgewählt wird, werden die Knospen zwischen der neuen Terminalknospe und der Ersatzknospe entfernt. An der Seite des Zweigs, die zum Kroneninneren zeigt, können noch weitere Knospen entfernt werden. Ist der Vorjahrestrieb des Jungbaums an den Enden der Äste, die gerüstbildend sein sollen, kürzer als 10 bis 15 cm, sollte er insbesondere bei Steinobst nicht angeschnitten werden. Besser ist es, die unmittelbar auf die Terminalknospe folgenden Knospen auszubrechen, um die Dominanz der Endknospe sicherzustellen und deren Austrieb etwas zu verstärken.

Der Schlankschnitt in Bildern

Fotos: Hans Thomas Bosch

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Hintergrund und Wirkung

Das „Schlank schneiden“ macht sich einen mit der Apikaldominanz verbundenen Regelmechanismus zunutze. Im Idealfall sorgt die oberste/äußerste Spitze eines Triebs, Astes oder Baums dafür, dass sie die Führung/Dominanz behält.

Die Apikaldominanz als Mittel zur Wachstumsregulierung

Dies funktioniert bei vielen einheimischen Nadelbäumen (z. B. Fichte, Tanne, Lärche) sehr gut. Bei Obstbäumen ist die Wirkung der Apikaldominanz mit Einschränkungen, bei der Süßkirsche und bei einigen Birnensorten ebenfalls häufig zu beobachten. Vor allem beim Apfel ist sie nie genügend ausgeprägt. Auch aus diesem Grund neigt ein Apfelbaum ohne Schnitteingriffe des Menschen zu Mehrstämmigkeit bzw. bildet bei Einstämmigkeit zumeist mehrere Stämmlinge anstelle einer durchgehenden Stammverlängerung mit Seitenästen aus. Bei der Apikaldominanz sind Auxine (z. B. Indol-3-Essigsäure, IAA) nicht die einzigen, aber die wichtigsten unter den regulierenden Substanzen (Friedrich/Fischer 2000). Diese Pflanzenhormone werden in jungen Blättern der wachsenden Triebspitzen und in wachsenden Früchten produziert und sorgen dafür, dass diese gut mit Mineralstoffen und Assimilaten versorgt werden. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass das Hormon indirekt die Ausbildung oder Entwicklung der nachgeordneten Knospen oder Triebe hemmt. Dies bedeutet, dass der Austrieb aus einer nachgeordneten (weiter innen liegenden) Knospe relativ schwach ist oder dass eine Knospe erst gar nicht austreibt.

Beim Schlankschnitt wird die Zahl der Triebe/Äste im Außenbereich des Astes/Baums deutlich vermindert. Dadurch verringert sich die Zahl der wachsenden Triebspitzen, weshalb die Orte stärkeren Wachstums zahlenmäßig begrenzt werden. Während an den ausgewählten Orten (an den herausgestellten Spitzen) das Wachstum gefördert wird, vermindert sich bei stärker wachsenden Bäumen im Außenbereich insgesamt die Neubildung von Trieben und damit das Wachstum, weil im Nahbereich einer wachsenden Triebspitze die Ausbildung von (Seiten-)Trieben durch Auxin gehemmt wird.

Die hemmende Wirkung des Auxins stellt sich in Abhängigkeit vom Ort des Einwirkens erst ab einer bestimmten Höhe der Konzentration ein. Bei schwächer wachsenden Bäumen wird diese Konzentration nicht oder nur für eine sehr kurze Zeit erreicht. Deswegen bewirkt diese Schnitttechnik bei schwach wachsenden Bäumen eine generelle Anregung der Triebbildung und damit eine erhöhte Auxin-Produktion, was sich günstig auf die Wurzel-, Blatt-, und Triebbildung auswirkt.

Förderung der Begrünung im Inneren der Baumkrone

Durch die Verminderung der Zahl der Triebspitzen im Außenbereich des Astes/Baums bildet sich dort bei einem stark wachsenden Baum insgesamt weniger Auxin, als wenn sehr viele, relativ gleichrangige, stark wachsende Triebe (z. B. nach unsachgemäßem Schnitt) vorhanden sind.

Auxin ist teilweise ein Gegenspieler der Cytokinine, die u. a. den Austrieb der Knospen fördern (Heß 2008). Die Auxin-Konzentration im Baum nimmt mit zunehmender Entfernung von den wachsenden Triebspitzen ab. Da zudem die Menge an Auxin produzierenden Triebspitzen verringert wird, sind Knospen, die weiter von Triebspitzen entfernt sind, weniger gehemmt und treiben deswegen häufig aus. Auch in wachsenden Früchten werden Auxine gebildet, weshalb es bei einem reichen Fruchtansatz ratsam ist, neben Ästen/Trieben auch einen wesentlichen Teil der Früchte/Fruchtknospen zu entfernen, um bestimmte Wirkungen zu erzielen.

Ein Baum, der schlank geschnitten wird, begrünt sich im inneren und mittleren Bereich der Krone, besonders in Jahren mit geringem Fruchtertrag oder bei ergänzender Fruchtausdünnung. Selbst ruhende Knospen (Proventivknospen) werden aktiviert, so dass sogar an Bäumen, welche im Inneren verkahlt sind, eine Wiederbegrünung im Bauminneren erfolgt. Zumeist kann dies mit einer Auslichtung nach den Prinzipien des Schlankschnitts erreicht werden, ohne dass (starke) Einkürzungen mit entsprechend großen Wunden oder deutlichen Veränderungen im Habitus erforderlich sind.

Im Gegensatz zur Darstellung der ZTV-Baumpflege (bei den Begriffsbestimmungen für „Wasserreis/Reiterat“ und „Reiteration“) geschieht die Aktivierung einer Proventivknospe bei der Baumpflege durch Schlankschnitt nicht in Folge einer Störung, Schwächung oder Verletzung, sondern als Reaktion auf einen angepassten Eingriff mit dem Ziel einer maßvollen Revitalisierung innerer Kronenteile. Dabei entwickeln sich diese Neutriebe (aus Proventivknospen statt Adventivknospen) zumeist zu normalen Ästen/Seitenachsen (Partial-Reiterate) und nur selten zu Total-Reiteraten.

Bei vergreisten oder sehr schwach wachsenden Bäumen geschieht die Begrünung im Inneren nach einem maßvollen Eingriff oft verzögert oder nur schwach. Hier ist nicht eine Cytokinin-Hemmung durch Auxin die Ursache, sondern vermutlich in erster Linie ein Mangel an Assimilaten (Energiemangel) und eine schwache allgemeine Stoffwechselaktivität.

Bei einem starken Eingriff besteht die Gefahr, einen Baum mit geringer Vitalität weiter zu schwächen, zudem ist die Reaktion des Baumes oft schwer vorauszusagen. Deswegen empfiehlt es sich unter solchen Bedingungen vorbereitend durch einen leichten bis mittelstarken Schnitt (15 bis 25 % Auslichtung) vorwiegend an dünneren Ästen und Zweigen (bis ca. 3 cm Durchmesser) eine Neutriebbildung anzuregen. Dabei sind bereits relativ geringe Neutrieblängen von 5 bis 15 Zentimetern ausreichend, um für eine Aktivierung des Stoffwechsels und eine verstärkte Bildung von Assimilaten zu sorgen. Nach ein bis zwei Jahren kann dann ein weiterer Eingriff auch mit Schnitten im Schwach- und Grobastbereich erfolgen. Der Baum ist dann in der Lage, im Frühjahr zügig und im ganzen Baum Triebe mittlerer Länge zu bilden.

Vermeiden extremer Stoffwechselreaktionen

Im vorigen Abschnitt wurde beschrieben, wie eine Begrünung innerer Kronenteile erreicht werden kann. Hierbei kommt es darauf an, dass die (Wieder-)Begrünung gemäßigt abläuft; die Bildung vieler starker „Wassertriebe“ und Total-Reiterate, teilweise sogar aus Adventivknospen, ist nicht gewünscht. Wenn bei vitalen Bäumen die Verminderung der Auxin-Menge sehr stark ausfällt und dadurch die Hemmung der Cytokinine weitgehend wegfällt, ist eine übermäßige Triebreaktion des Baums sehr wahrscheinlich.

Um dies zu vermeiden, muss bei diesen Bäumen die Reduktion der Auxin-Produktion maßvoll ausfallen. Deshalb bleibt beim Schnitt grundsätzlich ein großer Teil der dominanten, Auxin produzierenden Partien innerhalb eines Astsystems bzw. im Gesamtbaum erhalten. Je stärker eine Auslichtungen oder ein Rückschnitt ausfällt, umso wichtiger ist es, darauf zu achten, dass eine genügende Anzahl von (durch Schlankschnitt herausgestellten) Astspitzen verbleibt, die unmittelbar nach dem Austrieb mit ein, zwei oder mehreren Trieben die Auxin-Produktion aufnehmen.

Gerade bei Bäumen mit schwachem Wachstum gibt es viele Triebspitzen und Knospen, die trotz einer Förderung durch Schnitt nach dem Austrieb kein nennenswertes Triebwachstum aufweisen. Deshalb liegt hier das Hauptaugenmerk des Baumpflegers darauf, dass beim Schnitt diejenigen Astspitzen und Knospen als verbleibend ausgewählt werden, die das Wachstumspotential des Baumes schnell in Blatt-, Trieb- und Fruchtbildung umsetzen können. Diese Selektion von geeigneten Triebspitzen ist sehr bedeutsam für eine erfolgreiche Anwendung des Schlankschnitts bei schwachwachsenden Bäumen.

Allgemein ist es wichtig, dass die grundlegenden Dominanzverhältnisse innerhalb von Astsystemen und zwischen räumlich naheliegenden Astsystemen im Wesentlichen erhalten bleiben. Deswegen richtet sich die Eingriffsstärke im untergeordneten Teil eines Astsystems nach der Eingriffsstärke im dominanten Teil, wo mindestens ein verbleibender Ast als neue Spitze dominiert.

Dagegen wird beim Ableiten eines steileren, in der Hierarchie höher stehenden Astes auf einen flach stehenden Seitenast der bisher dominierende Teil innerhalb eines Astsystems – und damit der für die Auxin-Produktion relevante Ort – meist vollständig entfernt. Dadurch wird das bestehende Regelsystem komplett aufgelöst oder stark gestört, was zu den bereits erwähnten unerwünschten Reaktionen führt. Dies gilt in noch stärkerem Maße bei einer Kappung.

Bei der Begrünung im Kroneninneren, aber auch in vielen anderen Fällen, ist es deswegen vorteilhaft, die erforderlichen oder angestrebten Änderungen im Stoffwechsel des Baums, maßvoll und verteilt über einen gewissen Zeitraum ablaufen zu lassen. Dies dient nicht nur der Baumgesundheit, sondern trägt auch dazu bei, den Arbeitsaufwand zur Korrektur unerwünschter Reaktionen im Baum gering zu halten, da extreme Stoffwechselreaktionen sehr häufig mit übermäßigen äußeren Reaktionen verbunden sind.

Förderung des Wurzelwachstums

Schlankschnitt: Auxin-Wirkung nach Fischer/Friedrich 2000Die Cytokinine fördern nicht nur die Ausbildung der Knospen, sondern auch das Wurzelwachstum. Ein vitaler Baum, der unsachgemäß behandelt wird, und deswegen sehr viele Triebe ausbildet, die nicht nur im Frühjahr, sondern auch im Sommer (nach Mitte Juni) noch deutliches Wachstum aufweisen, wird gleichsam überschwemmt von Auxin, welches dann in relativ hoher Konzentration bis in den Wurzelbereich gelangt und dort für eine Hemmung des Wurzelwachstums sorgt (Friedrich/Fischer 2000). Die Wirkung des Auxins ist nicht nur abhängig von der Konzentration, sondern auch vom Organ bzw. vom Ort des Einwirkens (siehe Abbildung). Daher sorgt eine Vermeidung sehr hoher Auxin-Mengen im ganzen Baum für ein gutes Wurzelwachstum, wenn zugleich eine gute Versorgung mit Assimilaten besteht.

Gerade jüngere Bäume weisen im Frühjahr auch nach einem zurückhaltenden und angepassten Schnitt oder ganz ohne Schnitt ein stärkeres Triebwachstum verbunden mit einer leichten Hemmung des Wurzelwachstums auf. Eine kurzzeitige Hemmung des Wurzelwachstums ist also durchaus natürlich, entscheidend ist aber, dass diese Hemmung durch sehr hohe Auxin-Konzentrationen nicht in den Sommermonaten anhält.

Ausgeglichenes Wachsen

Stärkere Äste haben allein schon aufgrund ihrer Dicke und ihres relativ großen Anteils an der gesamten Stoffwechselaktivität ein hohes Attraktionsvermögen für Assimilate und Mineralstoffe. Die Entnahme von relativ starken (Seiten-)Ästen in den oberen und äußeren Teilen der Krone ist fast immer ein zentrales Element des Schlankschnitts, besonders an Bäumen, die länger nicht sachgerecht geschnitten wurden. Diese Maßnahme wirkt der natürlichen Förderung dieser Kronenteile entgegen und beseitigt oder reduziert eine Überbauung. Im Gegensatz zur Situation bei sehr vitalen Bäumen reicht bei Bäumen mit einer leicht eingeschränkten Vitalität und bei älteren Steinobstbäumen die Entnahme stärkerer Seitenäste in den äußeren Kronenteilen allein als Anregung zur Bildung neuer Triebe im Kroneninneren oft nicht aus, weshalb bei diesen Bäumen diese Maßnahme mit einem Schlankschnitt im Feinastbereich kombiniert werden sollte. Beides trägt dazu bei, ein starkes Wachstum im Außenbereich zugunsten der Triebbildung in inneren und mittleren Kronenteilen zu vermindern. Hingegen führt der Schlankschnitt bei sehr schwach wachsenden Bäumen zu einem maßvoll verstärkten Triebwachstum.

Die gleichmäßigere Verteilung des Wachstums auf die gesamte Baumkrone und die gemäßigten Änderungen im Stoffwechsel des Baums führen zusammen zu einem insgesamt ausgeglichenen Wachstum. Die erfolgreiche Anwendung dieser Technik zeigt sich somit auch darin, dass in Folge des Schnitts die Jahrestriebe im gesamten Baum eine ähnliche und mittlere Länge aufweisen.

Ausgeglichenes Fruchten

Die Blühinduktion geschieht bei Apfel- und Birnbäumen vorwiegend im Juni oder in warmen Lagen und Jahren auch schon Ende Mai. Auch hier hat neben einigen weiteren Faktoren die Stärke der Auxin-Produktion direkt und indirekt einen großen Einfluss. Je nach Zustand des Baums ist eine Erhöhung (beim vergreisten Baum) oder eine Verminderung der Hormonkonzentration (beim stark wachsenden Baum) günstig für die Blühinduktion und die weitere Förderung der Blütenknospen. Der Schlankschnitt wirkt sich ausgleichend auf die produzierte Menge an Auxin und anderen Hormonen aus und führt zu einer guten Versorgung des Baumes mit Assimilaten.

Durch die ausgewogenere Konkurrenzsituation um Assimilate und Nährstoffe wird die Versorgung der Früchte und Fruchtknospen verbessert, was den Ertrag erhöht und – was mindestens so wichtig ist – die Wahrscheinlichkeit für Alternanz (= Wechsel zwischen sehr hohem und sehr geringem Fruchtertrag eines Baumes) reduziert. Um dieses Ziel zu erreichen, ist bei einigen Sorten bei starkem Fruchtansatz allerdings zusätzlich ein Entfernen von Blütenknospen/Früchten erforderlich, zumal in den Früchten (Samenanlagen) nach der Blüte Gibberilline in einer Menge gebildet werden, welche eine Hemmung der Blühinduktion für das Folgejahr auslösen können (Friedrich/Fischer 2000, S. 220). Der Höhepunkt dieser Gibberillin-Produktion liegt etwa 35 bis 40 Tage nach der Vollblüte.

Ein sehr starkes Triebwachstum kann den Ertrag nicht nur über die Blühinduktion für das Folgejahr, sondern auch unmittelbar z. B. über einen verstärkten Junifruchtfall beeinträchtigen. Dabei ist die Umkehrung des Auxin-Gefälles im Fruchtstiel vom Trieb zur Frucht (die Auxin-Konzentration im Zweig ist höher als in der Frucht) die entscheidende Ursache.

Eine Regulierung der Fruchtbarkeit geschieht beim Schlankschnitt, ohne dass die fruchtenden Teile des Baums eine festgelegte Form oder Lage von Ästen haben müssen. Dies erspart viel Mühe und Zeitaufwand (z. B. wenn Äste durch Abbinden in die waagrechte Lage gebracht werden) und ermöglicht eine große Fruchtbarkeit auch an Bäumen mit einem art- und sortentypisch steilen Wuchs und starker Oberseitenförderung.

Verbesserung der Vitalität

Durch das verbesserte Wurzelwachstum und die gute Begrünung des Baums auch im Kroneninneren verbessert sich die Vitalität der Bäume innerhalb kurzer Zeit (oft schon nach wenigen Wochen oder Monaten) deutlich.

Während sich bei einem stark wachsenden Baum die Auxin-Produktion durch Schlankschnitt besonders im Außenbereich maßvoll verringert, erhöht sich bei einem vergreisten Baum mit geringer Vitalität die Konzentration dieses Hormons, was sich günstig auf die Wurzel-, Blatt, und Triebbildung auswirkt. Die jährliche Bildung vieler Blätter an Jahrestrieben mittlerer Länge trägt wesentlich zu einer guten Vitalität und Fruchtqualität bei.

Allein durch den Schlankschnitt verbessert sich gewöhnlich die Vitalität eines Baums. Dabei sollten Maßnahmen, welche den Baum schwächen können, weitgehend vermieden werden. Dies sind beispielsweise Kappungen, das Entfernen von Starkästen, Ableiten eines steilen, in der Hierarchie höher stehenden Astes auf einen flach stehenden Seitenast als Regelmaßnahme, umfangreiches Entfernen von Fein- und Schwachästen (Kahlschneiden, „Ausputzen“) im Inneren der Krone. Leider sind es oft genau diese Maßnahmen, die in der Literatur zur Obstbaumpflege im Zusammenhang mit einem „Verjüngungsschnitt“ empfohlen werden. Sie sind aber tatsächlich unnötig und in vielen Fällen der Baumgesundheit abträglich.

Um einen vitalen Baum zu erhalten, genügen beim Schlankschnitt fast immer relativ geringe Schnitteingriffe, welche die angestrebten Änderungen im Stoffwechsel eines Baumes bewirken. Bei ungünstigen Bedingungen (z. B. Wurzelschaden durch Wühlmaus, wiederholter überreicher Fruchtansatz, Vergreisen eines Jungbaums nach Pflanzschock) können ergänzend weitere Maßnahmen erforderlich werden.

Verminderter Pflegeaufwand

Weil der Baum im Außenbereich statisch entlastet wird und durch den angepassten Schnitt relativ ruhig bleibt (kein übermäßiges Triebwachstum), besteht bei älteren Bäumen oft über viele Jahre hinweg keine Notwendigkeit für Schnitteingriffe.

Bei jungen Bäumen erfordert das Ausbrechen der Knospen an bestimmten Vorjahrestrieben zunächst einen erhöhten Pflegeaufwand. Dieser zusätzliche Aufwand ist aber wegen der geringen Kronenausdehnung überschaubar. Das gezielte Ausbrechen von Knospen bewirkt einen schnelleren Kronenaufbau und damit eine Verkürzung der Jungbaumphase, weshalb die zusätzliche Arbeit letztlich zu einer Zeitersparnis beim Aufbau des Baums führt.

Verbesserte Baumgesundheit

Durch das ausgeglichene und gemäßigte Wachstum auch nach stärkerem Schnitteingriff wird weitgehend vermieden, dass Bäume einen späten Triebabschluss haben. Triebe mit spätem Abschluss sind besonders anfällig für verschiedene Krankheiten (z. B. Feuerbrand, Mehltau, Krebs, Spätschorf) und für bestimmte tierische Schädlinge, speziell beißend-saugende Insekten.

Ergänzungen

Die Technik des Schlankschnitts wird in der Regel in Verbindung mit weiteren Techniken, welche die physiologischen Vorgänge des Wachsens und Fruchtens berücksichtigen, angewandt. Eine gute Versorgung mit Assimilaten ist eine wichtige Voraussetzung für den regulären Ablauf von Stoffwechselvorgängen. Der Schlankschnitt trägt wesentlich zu einer günstigen Beeinflussung des Energiestoffwechsels und damit zu einer guten Vitalität bei. Daneben gibt es einige weitere Kulturmaßnahmen, die eine gute Vitalität fördern.

Zusammenwirken mit weiteren kulturtechnischen Maßnahmen

Wie im Abschnitt „Ausgeglichenes Fruchten“ (Hintergrund und Wirkung) dargestellt, hat der Schlankschnitt einen günstigen Einfluss auf die Fruchtbarkeit, jedoch braucht es auch hier häufig zusätzlich weitere Maßnahmen zu deren Regulierung. Die Regulierung der Fruchtbarkeit ist ein wesentlicher wirksamer Faktor, mit dem ein Baumpfleger Abläufe im Baum beeinflussen kann, wie beispielhaft im folgenden Abschnitt dargestellt.

Korrektur eines stark ungleichmäßigen Kronenaufbaus

Mitunter ist ein Pflegeziel bei der Baumpflege, die hierarchischen Verhältnisse zwischen größeren und übergeordneten Teilen einer Baumkrone zu beeinflussen, ohne extreme Reaktionen auszulösen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich Stämmlinge oder Hauptäste („Gerüstäste“), bei denen eine relativ gleichrangige Ausbildung angestrebt wird, stark unterschiedlich entwickelt haben. Eine direkte und unmittelbare Beeinflussung der Astspitze in einem Stämmling durch die Auxin-Produktion in der Spitze eines anderen Stämmlings ist bei größeren Bäumen allein schon wegen der weiten Entfernung und der damit verbundenen Ausdünnung des Hormons nicht möglich. Eine unterschiedlich starke Intensität beim „Schlank schneiden“, ermöglicht auch in diesem Fall ein gewisses (eingeschränktes) Maß an Beeinflussung der hierarchischen Verhältnisse. Dabei spielen im Zusammenwirken Pflanzenhormone eine große Rolle. Beobachtungen am Baum lassen die Deutung zu, dass darüber hinaus der Umfang und die Intensität der gesamten Stoffwechselaktivität innerhalb der jeweiligen Partien der Baumkrone über die hierarchischen Verhältnisse zwischen ihnen mitentscheiden, vor allem der relative Umfang der Assimilationsvorgänge. Die relative Verstärkung oder Verminderung der Assimilationsvorgänge innerhalb von Teilen der Baumkrone sollte in der Pflegepraxis durch Eingriffe verteilt über mehrere Jahre hinweg geschehen, vor allem wenn die Wirkung nicht an jungen und damit relativ kleinen Bäumen erzielt werden soll.

Eine weitere, deutlich wirkende Maßnahme stellt in diesem Zusammenhang das Belassen oder Entfernen von Blättern/Blattknospen und Früchten/Blüten durch Schnitt im Fein- und Feinstastbereich oder durch Ausbrechen von Knospen dar. Auch die bereits erwähnte Entnahme von relativ starken Ästen in den oberen und äußeren Teilen der Krone sei hier angeführt.

Besonders die differenzierte Steuerung des Fruchtens kann dazu beitragen, ohne starke Schnitteingriffe ein unerwünschtes Missverhältnis zwischen übergeordneten Astsystemen zu korrigieren. Während bei wachsenden Trieben die Wachstumsregulierung durch Auxin-Produktion zwangsläufig mit einem – wenn auch gebremsten – Zuwachs an Blatt- und Holzmasse verbunden ist, geschieht bei den Früchten die Wachstumsregulierung durch diese Hormongruppe ohne eine Zunahme der Blattmasse.

Anwendung außerhalb des Obstbaus

Neben den Obstbaumarten mit ihren hohen Fruchtmengen und den damit verbunden Auswirkungen auf Statik und Energiestoffwechsel bietet sich die beschriebene Schnittmethode auch bei anderen Baumarten an. Sie sorgt für eine rasche, aber maßvolle Begrünung als Schutz vor intensiver Einstrahlung, was bei für Sonnenbrand anfälligen Baumarten (z. B. Rotbuche, Vogelkirsche, Spitzahorn) sehr wichtig ist, wenn deutliche Einkürzungen oder starke Auslichtungen erforderlich sind.

Generell empfiehlt es sich, bei Bäumen, die im Inneren verkahlt sind oder über keine geeigneten Zugäste verfügen, vorbereitend zu einem starken Rückschnitt eine Auslichtung nach den Prinzipien des Schlankschnitts vorzunehmen. Weil insbesondere diese Methode eine Wiederbegrünung im Bauminneren aus regulären Knospen und Proventivknospen ohne zu starke Reaktionen im Außenbereich ermöglicht, entwickelt der Baum in ein bis drei Jahren Äste, die dann als Zugäste ausgewählt werden können. Auch ist es aus physiologischen Gründen besser, wenn der Baum direkt nach dem Rückschnitt noch über genügend Äste mit Knospen, die das Wachstumspotential des Baums schnell in Blatt-, Trieb- und Fruchtbildung umsetzen können, verfügt.

Ein starker Rückschnitt eines im Inneren verkahlten Baums verursacht ohne Vorbereitung fast immer eine Neutriebbildung aus Adventivknospen. Die Bildung vieler Triebe aus Adventivknospen erfordert einen hohen Energieaufwand in kurzer Zeit; die damit verbundene extreme Belastung des Stoffwechsels sollte man insbesondere bei wenig vitalen Bäumen mit geringen Reserven an Assimilaten vermeiden.

Schnittzeitpunkt, Sommerschnitt

Es ist schwierig den optimalen Schnittzeitpunkt für den Schlankschnitt festzulegen, da dieser stark von den Pflegezielen, von Art, Alter und Zustand des Baumes, vom bisherigen und voraussichtlichen Witterungsverlauf, der früheren Pflege und weiteren Faktoren abhängig ist (siehe auch: Bilharz 2012 und 2013). Entscheidend sind aber insbesondere die Art und die Stärke des Eingriffs.

Allgemein kann von einem starken Eingriff etwa nach Anfang bis Mitte Juni abgeraten werden (Belastung des Energiestoffwechsel bei hohen Blattentnahmen, Gefahr von Sonnenbrand speziell bei Steinobst, schlechter Triebabschluss im Herbst/Winter). Bei ganz jungen Bäumen und bei Bäumen mit einer sehr geringen Vitalität sollte die Schnittmaßnahme, wenn möglich, vor der eigentlichen Blattentwicklung (BBCH-Code 10, Mausohrstadium) erfolgen. Dies gilt nicht für das Entfernen von Früchten.

In der Literatur zur Obstbaumpflege wird für das Kernobst oft ein Schnitt außerhalb der Vegetationszeit, also während der Vegetationsruhe, empfohlen. Dagegen empfehlen Vertreter der allgemeinen Großbaumpflege (Roloff 2013) für den Schnitt die Vegetationsperiode, insbesondere die Monate Mai bis September. In der Praxis wird abgesehen vom Erwerbsobstbau vorwiegend in der Zeit ab Mitte Februar, wenn die Zeit starker Fröste gewöhnlich vorbei ist, bis zum Beginn der Blüte (BBCH Code 53 bis 55) oder bis zur Blattentwicklung (Stadium 10, Mausohrstadium der Blattknospen) geschnitten.

In der eigenen Pflegepraxis zeigte sich aber, dass der Beginn der Blattentwicklung oder der Blüte nicht die scharfe Zäsur darstellt, wie oft angenommen. Auf der einen Seite gibt es bei ausreichender Erwärmung (deutlich über 5° C) im Frühjahr auch im blattlosen Zustand eine bedeutende Stoffwechselaktivität im Baum, die teilweise an der Knospenentwicklung sichtbar wird. Auf der anderen Seite konnten in zahlreichen eigenen Versuchen und Beobachtungen bei einem angepassten Schnitt nach dem Blattaustrieb am Baum keine nennenswerten negativen Auswirkungen (z. B. Ertragsminderung, Beeinträchtigung der Vitalität, schlechte Holzausreife) festgestellt werden, sofern dieser Eingriff vor der Hauptphase der Blütenknospendifferenzierung und vor dem Junifruchtfall und nicht an stark geschwächten Bäumen erfolgt. Ein Schnitt im Frühjahr auch nach dem Blattaustrieb wirkt also deutlich anders als ein Schnitt im Hoch- und Spätsommer (ungefähr ab Anfang/Mitte Juni bis Ende September/Anfang Oktober).

Weil sich der physiologische Zustand des Baums in der Regel fließend ändert und nicht abrupt und er zudem von einer Vielzahl innerer und äußerer Faktoren beeinflusst wird, ist es nicht sinnvoll, für Schnittmaßnahmen feste Datumsangaben zu machen. Allerdings sollte ein Baumpfleger bzw. eine Baumpflegerin die unterschiedliche Wirkung eines Eingriffs in Abhängigkeit von Schnittzeitpunkt sowie Art und Stärke des Eingriffs berücksichtigen oder gezielt einsetzen.

In der Obstbaumpflege wird mitunter in Anlehnung an Methoden des Intensivobstbaus der Sommerschnitt als Maßnahme zur Verminderung und Regulierung des Wachstums empfohlen. Ein Sommerschnitt im Erwerbsobstbau ist in der Regel ein Schnitt oder Riss im Juni oder August. Er findet fast nur in Ergänzung zum Schnitt im Winter und Frühjahr statt. Auch im Intensivobstbau gab es Vorschläge, den Schnitt gänzlich in den Sommer zu verlegen, um die wuchsbremsende Wirkung eines Schnitts in diesem Schnittzeitraum intensiver auszunutzen. Dies hat sich jedoch in der Praxis nicht durchgesetzt, da die Nachteile (Ertragsminderung, mangelnde Holzreife zu Beginn des Winters) deutlich in Erscheinung traten.

Bei Anwendung der Technik des „Schlank schneidens“ ist ein ergänzender Sommerschnitt zumeist nicht erforderlich, da nur selten ein übermäßiger Neutrieb hervorgerufen wird. Dies ist nicht unwichtig, da – neben dem arbeitswirtschaftlichen Aspekt der Zeitersparnis durch Verzicht – ein starker Sommerschnitt negative Auswirkungen auf Vitalität, Ertragsbildung, Frosthärte und Wurzelwachstum haben kann.

Abgrenzung, Klarstellung

Den Begriff „Schlank schneiden“ gibt es auch im Erwerbsobstbau mit seinen kleinen Baumformen. Dort ist heute der Grundaufbau der Krone fast immer eine Spindel, Schlanke Spindel oder Superspindel, weshalb der Baum geprägt wird durch die klare Dominanz der Mittelachse. Hier bezieht sich die Schnittmethode deswegen nur auf kleinere Äste und sie wird stark vereinfacht durchgeführt (Entfernen aller seitlichen Verzweigungen im Nahbereich des Mitteltriebs/Spitzentriebs am „zweijährigen“ Holz). Bei großkronigen Bäumen hingegen sind zumeist Baumformen üblich, die anstelle einer absolut dominierenden Mittelachse mehrere relativ gleichrangige Stämmlinge oder mehrere relativ zur Stammverlängerung starke Hauptäste aufweisen. Deswegen bedeutet „Schlankschnitt“ hier, die Dominanzverhältnisse im ganzen Baum und auf jeder hierarchischen Ebene eindeutiger herauszustellen.

Der Schlankschnitt ist eine Technik, die nicht an eine bestimmte Kronenform gebunden ist. Diese Technik kann grundsätzlich bei fast allen Kronenformen außerhalb des strengen Formobstbaus und bei fast allen einheimischen Baumarten angewandt werden. Neben einer Vielzahl von externen und internen Faktoren (Vitalität, Fruchtbarkeit, Standort, Wetterentwicklung etc.) gibt es zwischen den Obstarten und zwischen verschiedenen Sorten innerhalb einer Art teilweise extreme Unterschiede im natürlichen Wuchsverhalten. Deswegen wird man bei einer angepassten Baumpflege fallweise erheblich von den Vorgaben einer bestimmten Form abweichen müssen. Es gibt keine Kronenform, die für alle Sorten oder Zielsetzungen gleichermaßen ideal geeignet ist!

Dies gilt auch für die Oeschberg-Krone, insbesondere wenn man in der Tradition des Formschnitts bleibt und die Vorgaben sehr eng fasst, indem beispielsweise die Stellung von Ästen für alle Obstarten und -sorten auf ein Winkelgrad genau festlegt wird (Grolm 2012).

Wer sich bei der Obstbaumpflege auf eine bestimmte Form festlegt (z. B. Tellerkrone, Oeschberg-Krone, Hohlkrone oder Spindel) neigt dazu, insbesondere bei älteren Bäumen, die nicht der angestrebten Grundform entsprechen, Eingriffe vornehmen, die das Erreichen der Pflegeziele verhindern, vor allem das Pflegeziel „Baumgesundheit“. Da der Schlankschnitt nicht an eine bestimmte Kronenform gebunden ist, besteht diese Gefahr hier viel weniger.

Die Annahme, dass die genaue Einhaltung von festgelegten Vorgaben bezüglich der Form aus sich heraus die gewünschte Baumentwicklung verursacht, ist im Allgemeinen nicht zutreffend. Das Erzielen einer bestimmten Form ist im Einzelfall dann sinnvoll, wenn diese Form zugleich Ausdruck biologischer Vorgänge ist oder biologische Vorgänge auslöst, welche zur beabsichtigten Entwicklung führen. Die Nichtbeachtung dynamischer Prozesse des Lebewesens „Baum“ führt dazu, dass die angestrebten Ziele entweder nicht oder nur mit einem hohen Aufwand erreicht werden.

Bei der Funktionalen Obstbaumpflege, zu deren Entwicklung ich einen Beitrag leisten will, ist man bemüht, sich möglichst von einer a priori festgelegten Form des Baums zu lösen. Vielmehr ergibt sich eine individuelle Form jedes Einzelbaums aus den funktionalen Erfordernissen und der Berücksichtigung der einwirkenden Umwelteinflüsse, der art- und sortentypischen Eigenschaften und des Zustands des Baums. Dabei kommt der Beachtung des Energie- und Hormonhaushalts eine zentrale Bedeutung zu.

Begriffe

Im Obstbau haben sich für verschiedene Ast-Typen bestimmte Begriffe herausgebildet. Dabei wird oft vergessen, dass sich diese Begriffe rein auf die Funktion eines Astes beziehen. Die funktionale Trennung zwischen Ästen, welche gerüstbildend sein sollen und auf Dauer angelegt sind (Gerüstast, Fruchtast) und solchen, welche fruchttragend sein sollen und nur eine begrenzte Lebensdauer haben sollen/können (Fruchtholz), erleichtert es dem Baumpfleger gedanklich eine Baumkrone zu gestalten. Leider ist besonders der Begriff des Fruchtastes verwirrend, da dieser Ast-Typ, im Gegensatz zu dem was das Wort impliziert, zumeist keine Früchte tragen soll. Treffender wäre zum Beispiel „Begleitender Gerüstast“. Aus der funktionalen Trennung darf man keinesfalls Unterschiede in der Physiologie der verschiedenen Ast-Typen ableiten!

Es haben sich im Obstbau einige Begriffe eingebürgert, welche aufgrund des gewählten Wortes suggerieren, dass sie etwas bezeichnen, was tatsächlich im Baum vorhanden ist oder geschieht. Am Beispiel „Saftwaage“ hat fast jeder Praktiker schon erfahren, wie wenig dieser Begriff einen realen Zustand oder Vorgang darstellt. Es gibt aber noch weitere Begriffe, die man mitunter als Arbeitsbegriffe verwenden kann, jedoch immer in dem Bewusstsein, dass sie keine oder keine genau abgrenzbare Realität bezeichnen: Physiologisches Gleichgewicht, Erhaltungsschnitt – Verjüngungsschnitt, Ertragsstadium – Altersstadium, Sommerschnitt – Winterschnitt, Vegetationsruhe, Wundheilung, Wundverschluss.

Fotos: Gerhard Weyers

Zusammenfassung

Mit der Technik des Schlankschnitts werden baumeigene Steuerungsmechanismen eingesetzt, um bestimmte Pflegeziele zu erreichen, ohne extreme (Stoffwechsel-)Reaktionen auszulösen. Die Orte hoher Auxin-Produktion werden gezielt ausgewählt und deren Zahl wird in der Regel verringert, was regulierend auf das Wachstum einwirkt. Gleichzeitig sorgt diese Technik dafür, dass selbst nach einer stärkeren Auslichtung eine übermäßige Reaktion des Baums und die Bildung von starken „Wassertrieben“ oder Total-Reiteraten unterbleiben.

Beides trägt wesentlich dazu bei, dass sich der Arbeitsaufwand für den Schnitt mittel- und langfristig deutlich vermindert. Durch die maßvolle Reduzierung der Auxin-Produktion können die Cytokinine an vielen Orten im Baum stärker wirken. Die damit verbundene, verbesserte Blatt- und Triebbildung in den inneren/unteren Bereichen eines Astes oder Baums und die günstigen Einflüsse auf das Wurzelwachstum bewirken u. a. eine verbesserte Vitalität des Baums.

Beim Schlankschnitt bleiben normalerweise die grundsätzlichen Beziehungen innerhalb eines Astsystems und zwischen Astsystemen im Wesentlichen erhalten, allerdings versucht man, auf verschiedenen, hierarchischen Ebenen für mehr Eindeutigkeit der hierarchischen Position der Äste oder Triebe zu sorgen. Dies kann bei jungen Bäumen an einzelnen Zweigen bis hinunter auf die Ebene der Knospen sinnvoll sein.

Wenn aus bestimmten Zielsetzungen und Situationen heraus (z. B. starke Überbauung, angebrochener Starkast, Beseitigen von gravierenden Erschwernissen der Bewirtschaftung) dominierende Kronenteile entfernt werden müssen, ergibt sich umso mehr die Notwendigkeit, die verbleibenden Äste und Triebe untereinander hierarchisch eindeutig (neu) zu positionieren, um damit extreme Reaktionen des Baums möglichst zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Dies gelingt dadurch, dass auch bei starken äußeren Eingriffen die bestehenden Verhältnisse auf der hormonellen Ebene erhalten bleiben oder nur wenig verändert werden.

Berücksichtigung biologischer Vorgänge

Der Schlankschnitt erleichtert die Betrachtung des Obstbaums in seiner Funktion für den Nutzer (hoher und gleichmäßiger Ertrag von hochwertigen Früchten, sicheres und rationelles Ernten, Langlebigkeit, Stabilität, relativ geringer Pflegeaufwand) bei gleichzeitig weitgehender Beachtung der biologischen Vorgänge im Baum.

Zusammenfassend die Ziele, die mit der Technik „Schlank schneiden“ erreicht werden:

  • Die Vitalität des Baums verbessert sich.
  • Der Baum wird statisch entlastet, ohne dass eine (starke) Kroneneinkürzung nötig wird
    (dies gilt bei stark vorgeschädigten Bäumen im Einzelfall nicht).
  • Große, ausfaulende Wunden können zumeist vermieden werden.
  • Eine Begrünung im Bauminneren erfolgt ohne Schnitteingriffe im Starkholz.
  • Die Entwicklung der unteren Seitenachsen von Stämmlingen/Hauptästen kann ohne (starken)
    Rückschnitt im Außenbereich gefördert werden.
  • Der Baum bildet in allen Kronenteilen, auch in inneren und unteren Teilen, neue Triebe.
  • Die Jahrestriebe sind im gesamten Baum ähnlich lang.
  • Das Wurzelwachstum wird gefördert.
  • Das Baumwachstum verläuft nach dem Schnitteingriff relativ ausgeglichen.
    Auch dadurch reduziert sich die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten und Schädlinge.
  • Ein Sommerschnitt ist nicht erforderlich.
  • Höhe und Gleichmäßigkeit des Fruchtertrags werden günstig beeinflusst.
  • Eine gute Belichtung innerer Kronenteile wird erleichtert.
  • Der Aufbau einer funktionalen Krone beim jungen Baum verläuft zügig.
  • Der Arbeitsaufwand für die Baumpflege vermindert sich deutlich

Zum Schluss sei betont, dass die Technik des Schlankschnitts nur in Verbindung mit weiteren Techniken, welche die physiologischen Vorgänge des Wachsens und Fruchtens berücksichtigen, erfolgreich angewandt werden kann und für sich allein nicht für eine sachgemäße Baumpflege ausreicht. Umgekehrt ist sie jedoch für eine zielgerichtete und effektive Vorgehensweise bei der Obstbaumpflege unverzichtbar.

Der Autor: Gerhard Weyers

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