Kritische Betrachtung einer wissenschaftlichen Untersuchung

Seit vielen Jahren (seit 1994) – als ich bei den Augsburger Baumpflegetagen zum ersten Mal einen Vortrag zum Thema Schnittzeiten gehört habe – stört mich ein Punkt an der Diskussion darüber. In der Baumpflege werden nur Abschottung und Wundkallus als Kriterium für die richtige Schnittzeit herangezogen. Die Reservestoffproblematik wiederum ist überhaupt kein Thema. Meine praktischen Erfahrungen decken sich nicht mit dem, was in der Baumpflege zum Credo erhoben wird: Schnitt während der Vegetation. Mein anfänglicher Respekt vor den fachlichen Autoritäten hat mich zurückgehalten, frühzeitig meine Bedenken und meinen Protest laut auszudrücken. Ich war noch jung und hielt mich für unerfahren (trotz meiner 17 Jahre Praxis). So habe ich mich damals nur getraut, diesen Punkt im Nachgespräch beim Referenten anzusprechen. Ich habe dieses Thema auch immer nur im kleinen Kreis und in meinen Schnittkursen vorgetragen und diskutiert, aber nie öffentlich Stellung dazu bezogen – verbindlich und angreifbar. Dazu sah ich mich lange aus vielerlei Gründen nicht in der Lage.

Wieso wird in Baumpflege-Fachwelt „Schnitt während der Vegetation“ zum Glaubensbekenntnis erhoben?

Inzwischen bin ich etwas sortierter und mit mehr Erfahrung ausgestattet. Die Widersprüche und Fehlentwicklungen in der Baumpflege tun mir immer mehr weh. So habe ich mich 2011 endlich dazu aufgerafft, auch öffentlich meinen Protest und meine Zweifel kundzutun. Nach einigen Vorträgen in kleinerer Runde bei Baumpflege Pfefferer, beim Verband ARGE Neue Baumpflege und in einem Vortrag beim Verband geprüfter Baumpfleger habe ich den Mut gefunden, meine Ansichten auch umfangreicher öffentlich zu machen. 2012 habe ich Nägel mit Köpfen gemacht und meine Kritik im „Kletterblatt” veröffentlicht (bundesweite Auflage mit 25.000 Exemplaren). Damit habe ich endgültig den Sprung in die Öffentlichkeit gewagt und fatale Irrtümer hinsichtlich des Themas „Schnittzeit“ angeprangert. 2013 erschien im selben Magazin der zweite Teil meiner Kritik.

Selbst Professoren, deren Arbeiten ich offen kritisiere, legen immer wieder sehr großen Wert darauf, dass es sich bei der Frage nach der Schnittzeit um ein sehr komplexes Thema handelt. Nichts anderes sage ich auch. Für mich ist das keine große Überraschung, denn die Natur selbst ist komplex. Umso mehr wundert es mich aber, dass die Baumpflege-Fachwelt die Diskussion um die Schnittzeit so undifferenziert vereinfacht und nur ein – in meinen Augen falsches – Credo kennt und zulässt:

Schnitt während der Vegetation!

Schnittzeit in ZTV Baumpflege

Diese Sicht innerhalb der Baumpflege spiegelt sich in der ZTV Baumpflege (2006) am deutlichsten wider. Die Schnittzeit (für mich ein zentraler Punkt in Sachen Baumschnitt) scheint in der Baumpflege keinerlei Bedeutung zu haben. Sie wird in der ZTV Baumpflege in drei Zeilen abgehandelt – das war´s. Alle nehmen das hin, es wird so gelehrt, keiner reflektiert oder hinterfragt. Und alle, die sich bestens ausgebildet und als Experten wähnen, beten es nach. Jedes Fachbuch in der Baumpflege bezieht sich schließlich darauf. Wer will da widersprechen?

Dabei sind die Aussagen in der ZTV Baumpflege nachweisbar falsch. Denn sie sind undifferenziert und fahrlässig verkürzt. Dazu später mehr. Das hätte so nie geschrieben werden dürfen, entbehrt jeder Praxiserfahrung und hätte schon längst angepasst werden müssen. Da ich mitbekommen habe, dass die ZTV derzeit überarbeitet wird, bin ich dabei, aktiv zu werden – in der Hoffnung, den Zug in eine andere Richtung lenken zu können.

ZTV Baumpflege

Um was geht es?

Bei allen Fachbuchautoren in der Baumpflege reduziert sich die Frage nach der Schnittzeit auf folgende Schlussfolgerung: „Schnitt nur während der Vegetation“. Begründung: „Der Baum kann sich im Winter nicht wehren“. Für mich ist das eine unhaltbare Darstellung und Vereinfachung.

Deshalb wollte ich wissen, wie die gesamte Baumpflege-Fachwelt auf solch eine pauschale Aussage kommt. Wenn überhaupt, dann wird meist auf Arbeiten von Liese und Dujesiefken über Wundabschottung verwiesen. Um nun zu prüfen, ob die Buchautoren nachlässig argumentieren, die Arbeiten vielleicht nicht richtig interpretieren oder ob ich vielleicht selbst total daneben liege, habe ich nach den Untersuchungen gesucht, die dieser Entwicklung zugrunde liegen.

Bei der Suche bin ich auf einen Literaturhinweis gestoßen, der vom Titel her versprach, etwas über wissenschaftliche Ergebnisse zur Schnittzeit preiszugeben:

  • D. Dujesiefken, A. Peylo, W. Liese; 1991:
    „Einfluß der Verletzungszeit auf die Wundreaktionen verschiedener Laubbäume und der Fichte.“ Forstwiss. Centralblatt, Hamburg und Berlin, 110, (6), 371-380.

Die Veröffentlichung im Forstwiss. Centralblatt lässt mich annehmen, dass es sich um eine Grundlagenveröffentlichung handelt, die wissenschaftlich zitierfähig ist. Viele zitieren auch Artikel aus Zeitschriften wie „Neue Landschaft“, „ProBaum“ und anderen – zwar fachlich hochwertigen, aber nicht streng wissenschaftlich betreuten – Zeitschriften. Dort werden Artikel nicht durch ein unabhängiges, wissenschaftliches Expertenteam geprüft. Aus diesem Grund sind die Veröffentlichungen in solchen Zeitschriften wissenschaftlich nicht uneingeschränkt zitierfähig. Auch meine Veröffentlichungen im „Kletterblatt“ sind natürlich nicht wissenschaftlich fundiert und somit ebenfalls nicht ohne Weiteres zitierfähig.

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Soviel vorweg

Die Ergebnisse der Untersuchung im oben erwähnten Artikel lassen nach meinem Verständnis so gut wie keine Schlussfolgerung in Bezug auf eine Schnittzeitempfehlung zu. Allerdings wird das im Artikel selbst auch so dargestellt. Das hat mich sehr verwundert. Habe ich etwas übersehen, habe ich zu wenig Kenntnis oder fehlt mir der Durchblick?

Sollte meine Kritik an der Arbeit begründet sein, stellt sich noch eine weitere Frage: Ist es vielleicht gar nicht dieser von mir kritisierte Artikel, der den Aussagen der ZTV Baumpflege und anderen Fachbüchern zugrunde liegt – sondern sind es andere, mir nicht bekannte Untersuchungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, welche die von vielen Fachleuten vertretene Ansicht zu „Schnittzeitempfehlungen“ begründen?

Warum zweifle ich an Schlussfolgerungen des Artikels?

Theorien und Ergebnisse müssen sich daran messen lassen, ob sie die Praxis bzw. sichtbare Phänomene erklären können. Wissenschaftliche Theorien sind nur dann haltbar, wenn sie sich mit der Realität decken, eine Erklärung für diese liefern und reproduzierbar sind. Die Praxis zeigt, dass die Beachtung der Schnittzeit wichtig ist und Einfluss auf das Wohl des Baums hat. Zu diesem Schluss komme auch ich. Aber ich erkenne nicht, dass die aus den Versuchen abgeleitete Empfehlung für die Schnittzeit in der Baumpflege mit dem übereinstimmt, was ich aus der Praxis kenne. Für mich gibt es hinsichtlich Schädigungen beim Schnitt stärkere Einflussfaktoren als Wundabschottung und Kallusbildung. Die Schäden, die durch Missachtung der Reservestoffsituation im Baum entstehen können, wiegen bei falscher Schnittzeit in vielen Fällen viel mehr. Ich gehe anhand meiner Beobachtungen davon aus, dass der Einfluss der Schnittzeit auf Abschottung und Kallusbildung in ihrer Bedeutung überschätzt wird. Andere Faktoren haben für mich ganz klar größeren Einfluss wie zum Beispiel Schnittführung und Reservestoffkreislauf. Das zumindest zeigt mir die Praxis.

Praxis zeigt komplexere Zusammenhänge

Nicht nur Obstbäume erfreuen sich bester Gesundheit und Langlebigkeit durch „Winterschnitt“, sondern auch Straßen- und Parkbäume. Im Gegensatz dazu habe ich Bäume sterben sehen, die „während der Vegetation“ geschnitten wurden – nämlich am Ende der Vegetation, wie es oft empfohlen wird z. B. auch in der oben erwähnten Untersuchung: „Empfehlung Anfang oder Ende der Vegetation“.

Ich möchte noch einmal betonen, dass ich nicht auf „Winterschnitt“ fixiert und auch nicht grundsätzlich gegen „Sommerschnitt“ oder „Schnitt während der Vegetation“ bin. Ich zweifle auch nicht an, dass Winterschnitt Folgeschäden hervorrufen kann, der Winter eine heikle Zeit ist und Abschottungsreaktionen zu dieser Zeit in den Zellen verlangsamt sind – wie es viele Untersuchungen beschreiben.

Ich bin aber der Meinung, dass die Physiologie des Baums stärker beachtet werden muss – und Abschottungs- und Wundreaktionen nur ein Teil der Faktoren sind, die zur Schädigung beitragen. Die Physiologie ist im Jahresverlauf so unterschiedlich, dass es nicht gleichgültig sein kann, in welcher Phase geschnitten wird. Pauschal zu sagen, „hauptsache Schnitt während der Vegetation“, kann nicht richtig sein. Ich bin ein Verfechter davon, die Physiologie des Baums in jeder Phase des Jahresverlaufs zu beachten und in jeder Vegetationsphase zu prüfen, welche Vor- und Nachteile Schnittmaßnahmen jeweils haben. Das kann in einem Fall bedeuten, dass es besser ist, im August zu schneiden – im anderen Fall im Januar und im nächsten Fall im April. Es kann auch dazu führen, dass man zu bestimmten Jahreszeiten die Maßnahmen hinsichtlich der Methodik anders durchführt.

Kritik an Untersuchung

Shigo, Dujesiefken und andere Forscher haben zweifellos wichtige Erkenntnisse für das Verständnis der Abschottungsmechanismen und der Baumabwehrreaktionen geliefert. Sie haben Baumpflege, Forst, Obstbau und alle, die mit Bäumen zu tun haben, ein großes Stück weiter gebracht. Nicht so aber bei der Frage nach der besten Schnittzeit, wie ich meine.

Der Artikel über den Einfluss der Schnittzeit hat mich sehr irritiert – und in gewissem Sinne auch schockiert. Nach meinem Verständnis bezüglich Statistik, Versuchsanlage und Auswertung hätten die Schlussfolgerungen zu Schnittzeitempfehlungen nie so ausfallen dürfen. Und wenn diese Untersuchung tatsächlich die Grundlage dessen ist, was die Baumpflege-Fachliteratur und die heutige Baumpflege-Lehre dazu bringen, den Winterschnitt zu verteufeln, dann bin ich erst recht entsetzt. Warum, das will ich durch die Analyse des Artikels über den „Einfluss der Verletzungszeit auf die Wundreaktionen verschiedener Laubbäume“ erklären.

Kapitelweise Begründung meiner Kritik

Kapitel „Einleitung“

Hier steht geschrieben: „Die Befunde sollen zu allgemeineren Empfehlungen zur Sanierungszeit beitragen.“ Der Anspruch ist an dieser Stelle nur, Empfehlungen geben zu können – keine Regel abzuleiten. Theoretisch ist es auch dabei geblieben. Aber diese Empfehlungen werden am Schluss derart vehement formuliert, dass man keine Zweifel an dem hat, was gefolgert wird – obwohl diese Klarheit durch die Ergebnisse der Versuche nicht begründet ist.

Kapitel „Material und Methode“

Die Varianz bzw. Streuung der Ergebnisse bei der Versuchsanlage ist sehr hoch, was nicht weiter verwundert (Baumalter nur ähnlich, Standort nur ähnlich, Gesundheitszustand z. T. nicht einmal vergleichbar, genetische Variabilität der Bäume sehr hoch, da wahrscheinlich generativ vermehrt, Versuchsdauer der Verletzungen nicht vergleichbar, da uneinheitlich usw.). Dagegen ist die Anzahl des Stichprobenumfangs (Wiederholungen bzw. Anzahl der Bäume gleicher Art) so gering, dass eine statistische Auswertung – nach dem, was ich über Statistik weiß – nicht möglich ist. Das heißt, man kann schon bei der Versuchsanlage davon ausgehen, dass es aufgrund der Unschärfe keine signifikanten Ergebnisse geben kann. Aussagen können daher am Ende nur aufgrund von Vermutungen erfolgen. Maximal können aus den Ergebnissen Tendenzen diskutiert oder aufgezeigt werden. Statistisch gesehen sind die unerwünschten „Blockeffekte“ durch die Wechselwirkung verschiedener, nicht konstant zu haltender Parameter viel zu groß.

Untersucht wurde außerdem nur der Einfluss von Bohrungen! Diese Verletzungsform tritt in der Baumpflege so gut wie überhaupt nicht auf. Nur bei einigen Baumgutachten und Probeentnahmen wird ein Baum mittels Bohrung verletzt – was eher die Ausnahme sein sollte, nicht die Regel. Vielleicht ist diese Methode im Forst gebräuchlicher, dies entzieht sich meinen Kenntnissen. Fachgerechter Baumschnitt jedoch hat mit der hier gewählten Verletzungsform nichts zu tun.

Bohrungen mögen für Versuche das geeignete Mittel sein, weil sie in gewissem Maße standardisierbar sind. Man untersucht zuerst das, was man gut messen kann. Allerdings muss man dabei immer beachten, dass die Aussagen nicht eins zu eins auf andere Dinge übertragbar sind. Oder man muss begründen, weshalb die Ergebnisse doch übertragbar sind. Dazu ist in dem Artikel aber nichts zu finden.

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind also zunächst nur für Bohrungen gültig – nicht aber zwingend für fachgerecht durchgeführte Schnittmaßnahmen. Aus den Ergebnissen Aussagen für Schnitte in der Baumpflege abzuleiten, ist also eher ein Gedankenmodell und keine Tatsache mittels wissenschaftlicher Rückendeckung durch die Versuche. Es lassen sich allenfalls Hypothesen für neue Versuchsansätze formulieren.

Kapitel „Ergebnisse“

Die Versuche sollten Auskunft darüber liefern, wann die beste Schnittzeit sei. Die Ergebnisse zeigen zwar einen deutlichen Unterschied bezüglich der Reaktion verschiedener Baumarten, nicht jedoch klare Ergebnisse bezüglich der Schnittzeit – schon gar keine reproduzierbaren. Trotzdem wurden diese Ergebnisse in der Baumpflege-Fachliteratur unreflektiert übernommen und verallgemeinert, obwohl diese das m. E. gar nicht zulassen. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, ob die Schlussfolgerungen tatsächlich zutreffen oder nicht. Es geht zunächst vielmehr darum, ob aus den vorliegenden Versuchen diese Schlussfolgerungen ablesbar sind. Meiner Meinung nach sind sie sind es ganz klar nicht!

Warum sind die Schlussfolgerungen nicht ablesbar?

Es wurde nur vier (bzw. fünf) verschiedene Verletzungszeitpunkte in einem speziellen Jahr (d. h. Einfluss verschiedener Jahre ist nicht erfasst) von August bis April (d.h. über neun Monate) untersucht. Die Zeit von der Verletzung bis zur Fällung war unterschiedlich lang (16 Monate für die Bohrungen im August und sieben Monate für die Bohrungen im April). Der Vitalitätsgrad wurde zwar festgehalten, aber nur sehr oberflächlich. In die Ergebnisbewertung fließt er nicht ein und wird auch nicht weiter diskutiert. Es wurde weder festgehalten, in welcher physiologischen Phase sich die Bäume befanden (phänologische Phase), noch wurden äußere Einflussparameter systematisch erfasst. Die Angabe des Datums halte ich für die spätere Reproduzierbarkeit für unbrauchbar – es sei denn, man kann durch Jahr und Tag später nachvollziehen, was an dem Tag im Baum und um den Baum herum passiert ist.

Zudem wurde – wie oben bereits erwähnt – nicht praxisgerecht verletzt. Bohrungen durchbrechen alle Schichten im Baum: von der Borke bis zum Kern. Kein Wunder, dass die Verfärbungen sich in axialer Richtung schnell ausbreiten. Das ist bei einem fachgerechten Baumschnitt nicht der Fall. Wenn ein Ast abgeschnitten, das Stammgewebe dabei aber nicht verletzt wird, ist das mit der Verletzung durch eine Bohrung nicht vergleichbar. Daraus deutliche Empfehlungen unter dem Deckmantel einer wissenschaftlichen Beweisführung bezüglich der „richtigen Schnittzeit“ abzuleiten, die dann eine ganze Branche zum Credo erhebt, ist m. E. nicht zulässig.

Kapitel „Kambialreaktionen“

Die Rücktrocknung war sehr differenziert. Zum Teil fanden sich bei August- und Oktober-Bohrungen ausgedehnte, nekrotische Streifen z. B. bei den geschädigten Eichen und Eschen (ringporig). Der August ist übrigens ohne Zweifel noch Vegetationszeit! Wo also bleibt die Schlussfolgerung: Hände weg vom Schnitt im August am Ende der Vegetation? Einige Varianten bei Eiche und Buche waren nach einem Jahr überwallt mit Kallus. So wird es im Artikel zumindest beschrieben. Das kann doch nur heißen, es waren nicht alle überwallt. Konsequenz bzw. Schlussfolgerung? Keine. Es wird später nicht weiter darauf eingegangen, warum nicht? Fichte und Birke überwallten hingegen kaum bis gar nicht, Esche und Ahorn nur gering. Diese unterschiedlichen Ergebnisse lassen m. E. nur eine Rückschluss zu: Anhand der Versuche können keine klaren Aussagen über den Einfluss der Schnittzeit gemacht und keine Empfehlungen zur besten Schnittzeit abgeben werden. Nicht einmal, wenn zwischen den einzelnen Baumarten unterschieden würde. Aber auch das ist nicht der Fall – weder in der ZTV Baumpflege, noch anderswo. Es bleibt unverständlich, wieso die ZTV Baumpflege alles über einen Kamm schert.

Die Aussage hingegen, dass die Intensität der Rücktrocknung und Kallusbildung sehr stark von der Verletzungszeit abhängig sei, kann ich sehr gut nachvollziehen. Das kann man in der Praxis sehr gut beobachten. Die Versuche sind zwar auch hier nicht signifikant. Aber die Tendenz deckt sich immerhin mit den Beobachtungen aus der Praxis. Es ist also durchaus erlaubt, in diesem Fall Schlussfolgerungen oder Erklärungsversuche zu wagen. Dass März und April in den Versuchen besser abgeschnitten und zu einer geringeren Schädigung des Kambiums und mehr Kallusbildung geführt haben, ist zwar noch kein eindeutiger Beweis, aber für mich durchaus nachvollziehbar und logisch. Unwissenschaftlich und aus dem Bauch heraus könnte eine Erklärung dafür folgendermaßen lauten:

    Je weniger die Zellen aufgrund von Kälte und Jahreszeit physiologisch in der Lage sind, auf Verletzungen zu reagieren und diese zu reparieren, desto mehr sterben bei extremer Witterung von außen nach innen nach und nach ab und desto weniger Kallus kann gebildet werden. Es könnte außerdem hinzukommen, dass durch das Absterben von Zellen die dahinterliegenden lebenden Zellen schlichtweg mechanisch blockiert sind – was auch bei günstigerer Witterung verhindert, dass Kallus gebildet werden kann. Der Kallus müsste erst einmal die toten Zellen zur Seite schaffen oder durch totes Zellgewebe hindurch wachsen, bevor er an die Oberfläche kann.

Es wäre aber hochinteressant, zu wissen, ob fehlendes Kallusgewebe oder fehlende Sichtbarkeit des Kallus überhaupt schlecht für die Langlebigkeit des Baums ist und zu größeren Baumschädigungen führt. Darauf kenne ich keine Antwort und finde sie auch nicht in der Untersuchung. Das halte ich aber für wichtig. Denn auch, wenn man vermuten wird, dass es eher schadet oder zumindest keinen positiven Effekt hat, kann wissenschaftlich aus den Versuchen nicht einfach der Schluss abgeleitet werden, dass es langfristig nennenswert schadet. Das wird zugegebenermaßen zwar nicht direkt behauptet, aber durchaus suggeriert.

Kallusbildung ist wohl wichtig. Auch Nekrosenbildung ist sicherlich nichts Positives. Aber ist Kallus das Wichtigste für das Überleben oder die weitere Entwicklung des Baums? Wichtiger, als Vitalität oder Nährstoffversorgung? Was wissen wir über Vorschädigungen? Über latente Infektionen, die bei Stress zuschlagen? Ich habe Beobachtungen gemacht, die durchaus vermuten lassen, dass Vorinfektionen einen Einfluss auf den Grad der Schädigung haben – und zwar erst bei Auftritt von Stress wie z. B. Verletzungen (Ausbreitung und Vermehrung des Scharkavirus bei Johannisbeeren, nach dem diese „verjüngt“, d. h. auf den Stock gesetzt wurden; oder schlagartige Ausbreitung des Brandkrustenpilz nach Resistograph-Borungen bei Buchen und Kastanien).

Kallusbildung, Nekrosen oder Abschottung haben sicherlich einen Einfluss auf den Schädigungsgrad – auch in den angesprochenen Versuchen. Aber die Schwankungen der Ergebnisse deuten doch klar darauf hin, dass es noch weitere Faktoren geben muss, die eine Rolle spielen. Wieso reduziert die Baumpflege-Fachwelt trotzdem alles auf Kallusbildung und Abschottung und auf nichts anderes?

Kapitel „Reaktionen im Holz“

Ich vermute, dass die Ausführungen Einfluss auf die Aussagen in Fachbüchern zur Baumpflege hatten und noch immer haben. Vermutlich deshalb, weil nicht deutlich genug auf Differenzen und Widersprüche eingegangen und deutlich darauf hingewiesen wird, dass keine klare Empfehlung abgeleitet werden kann. Oder die Empfehlung zumindest auf das beschränkt bleibt, was untersucht wurde: Bohrungen!

Die Verfärbungen in den Versuchen zeigen ein uneinheitliches Bild oder sehe ich das falsch? Mal keine zeitlichen Unterschiede (z. B. bei Buche), mal nur geringe Verfärbungen im Oktober, im Dezember wiederum sehr große wie bei den ausgewählten Ahornen. Bei Eiche dafür umgekehrt im Dezember kaum Verfärbungen, dafür im Oktober und April die Schlimmsten. Bei Esche wiederum im März und April die Schlimmsten, im August und Oktober weniger. Birke dagegen immer schlimm, mal mehr, mal weniger. Und Fichte auch nicht so eindeutig, wie man es sich wünschen würde.

Bei soviel Schwankung und der äußerst geringen Stichprobe verstehe ich nicht, wie es zu so eindeutigen Aussagen und Empfehlungen zur Schnittzeit kommen kann.

Grafische Darstellung

Die Ergebnisse werden in übersichtlichen Grafiken dargestellt (Box-and-Whisker-Plots). So schön diese Grafiken auch sind, sie sind in meinen Augen nicht geeignet, die Ergebnisse adäquat zu veranschaulichen. Wenn ich das richtig sehe, gibt es nur wenige Ergebniswerte pro Baum. Diese in einer solchen Form darzustellen, suggeriert eine verbindliche Aussage und täuscht Ergebnisse vor, die so nicht vorhanden sind. Was will ich mit einem Mittelwert oder Median oder oberen und unteren Quantil und Box mit 50 % und 75 % der Ergebnisse, wenn ein Wert darüber oder darunter sofort große Schwankungen verursacht? Wenn beispielsweise nur vier Werte zur Verfügung stehen, macht ein Wert alleine schon 25 % aus. Viel zuviel Einfluss für einen einzigen Wert und daher nicht tauglich, um eine Statistik zu erstellen.

Die sehr unterschiedliche Lage des Medians in der Box bei der Darstellung als Box-and-Whisker-Plot zeigt das m. E. deutlich und lässt vermuten, dass sich aus der Versuchsanordnung keine allgemeingültigen Aussagen treffen lassen. Eine Normalverteilung scheint nicht vorzuliegen, aber welche dann? Das ist wichtig, zu wissen, ehe man statistische Darstellungen interpretiert. Leider wird das in wissenschaftlichen Versuchen permanent missachtet, weil sich wohl niemand die Mühe machen möchte, aus Vorversuchen Modelle abzuleiten, es vielleicht auch zu schwierig ist und es außerdem zu wenige Statistiker gibt, die hilfreich zur Seite stehen.

Beispiel für einen Boxplot
Grafik: Beispiel für Boxplot

Die sehr stark schwankenden Versuchsergebnisse lassen m. E. keine gesicherten Aussagen hinsichtlich der besten Schnittzeit für Bohrungen (Schnitt wurde nicht untersucht) bei Laubbäumen zu. Wenn nun aus diesen Ergebnissen Schlussfolgerungen zur Schnittzeit abgeleitet werden, dann muss auch klar herausgestellt werden, dass diese durch die Ergebnisse nicht untermauert werden. Es muss außerdem begründet werden, wieso trotzdem Vermutungen angestellt werden. Das unterlassen die Autoren aber – auch die vielen anderen Baumpflege-Experten in ihren Fachbüchern. Oder wo sind die Bücher, in denen die Leser auf diese Ungereimtheiten und Unsicherheiten hingewiesen werden?

Hinsichtlich Verletzungszeit bzw. Zeitpunkt der Bohrung sind die in den Versuchen gewonnenen Ergebnisse also nicht eindeutig. Abhängigkeiten hinsichtlich der Auswirkung von Bohrlöchern auf die einzelnen Baumarten dürfen aufgrund der Ergebnisse aber durchaus festgestellt werden. Allerdings nur qualitativ – auf keinen Fall quantitativ – da der Stichprobenumfang nach wie vor zu klein und der statistische Blockeffekt zu groß ist.

Kapitel „Diskussion“

Meine Kritik an der Veröffentlichung bzw. den Versuchen bezieht sich v. a. auf die Interpretation der Ergebnisse. Diese sind nicht abgesichert und deshalb nicht nachvollziehbar. Die Aussagen beeinflussen natürlich die Leser. So verwundert es letztlich nicht, dass sie sich allmählich in der Baumpflege durchsetzen – zumal von hohen Autoritäten weitergetragen.

Die Ergebnisse sind in Bezug auf die Verletzungszeit nicht vergleichbar und nicht systematisch einheitlich deutbar. Wieso am Ende indirekt daraus gefolgert wird, dass Bäume während der Vegetation zu schneiden sind, ist mir nicht klar. Auf der einen Seite heißt es: „Der von den baumeigenen Reaktionen abgeleiteten allgemeinen Empfehlung zum Verzicht auf Pflegemaßnahmen an Laubbäumen während der Ruhephase stehen jedoch die Natur- und Landschaftsschutzgesetze entgegen, die in der Regel Pflegemaßnahmen erst ab Anfang November bis etwa März – der Zeit geringer Reaktionsfähigkeit – zulassen.“ Wie passt das zu den anderen Aussagen wie „Holz und Kambium erfordern eine baumartenspezifische Differenzierung“ und „ob Pflegemaßnahmen eher zu Beginn oder zum Ende der Vegetationszeit durchgeführt werden sollten, ist somit nicht eindeutig abzuleiten. Für die einzelnen Baumarten werden wahrscheinlich unterschiedliche Handlungskonzepte zu erarbeiten sein“?

Die von den Autoren aufgeworfene Frage, ob Ende oder Beginn der Vegetationszeit besser sei für Pflegemaßnahmen, verfehlt m. E. auch deutlich den eigentlichen Kern des Problems. Sie suggeriert nämlich, es gäbe nur diese zwei Optionen und man müsse lediglich noch prüfen, welche die Bessere sei. Das geht komplett an dem vorbei, was tatsächlich der Fall ist. Zudem wurde kein Ziel formuliert, keine Maßnahme definiert (was ist Pflegemaßnahme, etwa Bohrungen?), die Reservestoffsituation nicht mit einbezogen und vieles mehr. Es wird außerdem verkannt, dass auch baumeigene Gründe für andere Pflegezeiten sprechen können.

Ein wesentliches Detail der Versuche – dass diesen nämlich in der Baumpflege untypische Bohrungen zugrunde liegen – verschwimmt in der Diskussion nach und nach und wird durch die abschließenden Aussagen in der Zusammenfassung noch zusätzlich verschleiert. Dort wird formuliert, dass „Astungen und Bohrungen meist in der Vegetationsruhe durchgeführt werden“. Den „Bohrungen“ im Versuch wird hier so ganz nebenbei das Wort „Astungen“ beigestellt und im Nu werden daraus „allgemeine Verletzungen“ und am Schluss werden Bohrungen mit Baumschnitt gleichgesetzt. Wen wundert es da, dass alle, die das zitieren, das Gleiche tun?

Weiter wird klar gesagt, dass mit den Versuchen „der Einfluss der Verletzungszeit“ bestimmt werden solle. Da, wie ich meine, keine klaren Aussagen gefolgert werden konnten, hätte das Ergebnis nur lauten können: „Es konnte keine signifikante Beziehung zur Schnittzeit festgestellt werden. Aus der ein oder anderen Beobachtung kann vermutet werden usw.“. Hätten die Autoren diese klaren Worte gewählt und Unsicherheiten auch klar benannt, wäre es möglicherweise nicht zu den starken Vereinfachungen in der Bewertung der Schnittzeit in der Baumpflege gekommen.

Der geneigte Leser kann aufgrund dieser Aussagen vermuten, dass Bohrungen und Baumschnitt das Gleiche seien. Das ist m. E. nicht zulässig, wie oben bereits mehrfach begründet. Wenn ich Untersuchungen bzw. Bilder von Shigo richtig in Erinnerung habe, stirbt bei fachgerechtem Schnitt erst einmal nur das zum Ast gehörende Gewebe (trichterförmig bis zum Knospenursprung), sofern das umliegende Stammgewebe nicht verletzt wird – und das unabhängig davon, wann geschnitten wird. Der Schnittzeitpunkt hat maximal Einfluss darauf, wie schnell dieses Gewebe abstirbt. Oder habe ich da etwas falsch in Erinnerung?

Weitere kritische Anmerkungen zu Versuchsaufbau und Aussagen des Versuchs:

  • Fehlende Aussagen zu langfristig zu erwartenden Schäden. Die zugrundeliegenden Versuche untersuchen nicht, welche Schäden die Bohrungen (und schon gar nicht welchen Einfluss fachlich korrekter Schnitt) langfristig verursachen und wie stark sich das auf die Lebenszeit des Baums auswirkt. Warum wird das nicht einschränkend erwähnt?
  • Die Versuche erlauben keine Aussage, was mit großen Astwunden passiert, die jahrelang oder nie von Kallus überwachsen werden oder erst dann, wenn dahinter schon alles abgestorbene Holz abgebaut ist. Es wird zwar eine Untersuchung erwähnt, wo schnelle Kallusbildung die Sauerstoffzufuhr von Pilzen unterbindet und dadurch der Holzabbau „meist“ gestoppt oder behindert wird. Das kann aber nur für kleine Wunden gelten. Bei größeren Schnittwunden werden immer Höhlungen entstehen und das Holz wird früher oder später abgebaut oder zumindest statisch unwirksam. Ob das durch die Beachtung der Schnittzeit verhindert oder langfristig entscheidend verlangsamt werden kann, so dass der Baum auf Jahrzehnte einen Vorteil von einer „optimalen“ Schnittzeit hat, kann ich zumindest aus dieser Untersuchung nicht herauslesen. Diese Frage bleibt also offen. Es wäre schon wichtig, zu wissen ob oder ob nicht.
  • Der Versuch vergleicht unterschiedliche Versuchszeiträume und schmeißt sie in einen Topf. Mir ist nicht klar, warum nicht darauf hingewiesen wird, dass die Versuchsdauer unterschiedlich war und die Werte deshalb nicht direkt miteinander verglichen werden können. Es werden optische Vergleiche angestellt (Verfärbungen) und in Beziehung miteinander gesetzt, die zeitlich unterschiedlich zustande gekommen sind. Angelegt wurden die Bohrungen über einen Zeitraum von neun Monaten (August bis April). Beendet wurden sie wiederum zur gleichen Zeit. Bei der Fällung waren also die ersten Bohrungen 16 Monate, die Jüngsten gerade einmal sieben Monate alt. Wie lassen sich Verfärbungen vergleichen, von denen die einen 16 Monate, die anderen nur sieben Monate alt sind? Kann das zu einer verbindlichen Aussage führen? Wäre es nicht aussagekräftiger gewesen, man hätte die Verfärbungslänge erst nach zehn Winterperioden gemessen, wenn die Unterschiede in der Versuchsdauer vernachlässigbar geworden wären? Zehn Jahre sind zugegeben bei wissenschaftlichen Versuchen schwierig – aus vielerlei Hinsicht. Vielleicht hätte man zumindest alle Bohrungen exakt nach zwölf Monaten untersuchen sollen, um dann Gleiches mit Gleichem zu vergleichen. So hätte man zumindest eine Aussage darüber machen können, welchen Einfluss es hat, wenn die Winterphase einwirkt. Allein die unterschiedliche Versuchsdauer ist für mich Grund genug, die Aussagekraft der Versuche stark zu reduzieren. Ich hätte zumindest erwartet, dass erklärt wird, weshalb Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Kapitel „Zusammenfassung“

Die Zusammenfassung beinhaltet ambivalente Aussagen. So wird zwar dringend davon abgeraten, im Winter Bäume zu schneiden, aber dann doch darauf verwiesen, dass die Ergebnisse nicht einheitlich seien und man wahrscheinlich unterschiedliche Handlungskonzepte erarbeiten müsse (zu diesem Schluss komme ich auch). Danach wird der dringende Rat wieder abgeschwächt und von „allgemeiner Empfehlung“ gesprochen. Es wird sogar darauf hingewiesen, dass für Nadelbäume Winter bis Frühjahr für den Schnitt günstiger sein könnte. Aber warum fallen diese relativierenden Aussagen und Unterschiede in der Baumpflege-Fachliteratur immer unter den Tisch. Warum weist niemand darauf hin?

Resümee

Ich möchte nicht überheblich wirken, schließlich habe ich kein fundiertes Literaturwissen. Außerdem basieren meine Aussagen einzig auf meiner praktischen Erfahrung und dem wenigen Wissen aus meinem Studium. Ich weiß auch sehr wohl, dass Erfahrung sehr leicht trügen kann. Mir ist zudem die Problematik hinsichtlich Forschung und Untersuchungen an Bäumen bewusst. Es wird wahrscheinlich nie gelingen, Erkenntnisse wissenschaftlich eindeutig in allen Details aufzeigen zu können. Mit heutigen Mitteln kann die Statistik die Vielzahl der Einflussfaktoren und Wechselwirkungen in biologischen Systemen kaum bändigen. Wir sind in der Biologie und Physiologie immer noch eher auf der Ebene von Versuch und Irrtum – um nicht zu sagen abhängig von Zufall und Intuition.

Um nicht missverstanden zu werden, möchte ich an dieser Stelle auch betonen, dass ich die Versuche für sehr aufschlussreich halte und der Meinung bin, dass sie auf alle Fälle wichtige Erkenntnisse liefern. Aber eine allgemeingültige Ableitung bezüglich des richtigen Schnittzeitraums für Bäume halte ich – basierend auf diesen Versuchen – nicht für möglich. Die oben beschriebenen Versuche mit 30 Bäumen und sechs Baumarten zeigen aus meiner Sicht, dass es nicht signifikant gesichert ist, welcher Monat (ob August, Dezember oder März) für Kallus und Abschottung besser ist und welche langfristigen Schäden die unterschiedlichen Schnittzeiten hervorrufen. Einmal so, einmal so, mal abhängig von der Witterung, mal mit großer Streuung und dann auch nur bei Bohrungen und nicht bei fachgerechtem Schnitt. Es gibt zwar eine Tendenz, die auch in einigen Fällen erklärbar ist, aber es fehlen viele Gesichtspunkte, die geklärt und beachtet werden müssten. Eine eindeutige, allgemeingültige Aussage für alle Bäume hinsichtlich Schnittzeit und Erhaltung der langfristigen Baumgesundheit in Bezug auf die gewählte Schnittzeit kann nicht abgelesen werden.

Es fehlt beispielsweise auch komplett die Würdigung des physiologischen Zustandes der Bäume – insbesondere die Würdigung des Reservestoffhaushaltes. Ein nicht unwichtiger, in meinen Augen stark unterschätzter Aspekt, wenn es darum geht, den richtigen Schnittzeitraum festzulegen.

Meine eigenen, nicht wissenschaftlich angelegten Versuche und Beobachtungen haben z. B. gezeigt, dass ein junger Baum überleben kann, selbst wenn er im Winter 90 Prozent seines Kambiums (im Umfang) am Stamm über fast einen Meter durch Hasenverbiss verliert. Meine Versuchsbäume, denen dieses Schicksal widerfahren ist, sind heute ca. 35 Jahre alt und strotzen vor Gesundheit. Sie wurden aber nicht sich selbst überlassen – im Gegenteil. Im speziellen Fall habe ich über zehn Jahre hinweg die Bäume daran gehindert, zu blühen durch Ausbrechen der Blüten im Winter und die Bäume nicht geschnitten. Nicht praxisrelevant, aber unheimlich aussagekräftig, was mein Verständnis der Baumphysiologie anbelangt. An diesen Bäumen erkennt man heute an so gut wie keiner Stelle den in der frühen Jugendphase zugefügten „Totalschaden“.

Die Wissenschaft kommt nicht an der Praxis vorbei, in der eine – von Baumpflegeexperten beschworene – eklatante Schädigung bei Winterschnitt nicht nachgewiesen werden kann. Rücktrocknung und Nekrosen ja, aber darauf kann man durch Gegenmaßnahmen reagieren. In der Praxis kann man hingegen erkennen, dass gerade die Beachtung und Förderung der Vitalität für die Baumgesundheit sehr wichtig sind und Einfluss auf die Baumstatik haben. Es ist oft förderlich, wenn beim Schnittzeitpunkt darauf geachtet wird, dass Reservestoffe maximal eingelagert werden können und minimal durch den Schnitt verloren gehen – was z. B. durch Schnitt auch unter Einbeziehung der „Ruhephasen“ deutlich beeinflusst werden kann. Wurde schon jemals untersucht, ob nicht vielleicht fehlende Vitalität dem Baum mehr schadet als ein Schadpilz? Ob ein Baum durch Vitalität dem Pilz davon wachsen kann oder welcher Pilz in welcher Schnittzeit dem Baum gefährlich wird? Weiß man, welcher Schadpilz bei welcher Vitalität welche Schadwirkung hat? Spielt die Altersphase eines Baums eine Rolle? Mit Sicherheit. Das konnte ich schon oft feststellen und es deckt sich auch mit dem Wissen zu biologischen Altersphasen (Verhältnis von anabolen und katabolen Prozessen). Ein junger Organismus kann mehr Schäden verkraften als ein alter.

Mein Appell

Die ganze Baumpflege-Fachwelt bezieht nach meinen Vermutungen unzulässig ihre Schnittzeitempfehlungen aus Versuchen, wie den oben untersuchten. Auch die ZTV Baumpflege. Da diese derzeit überarbeitet wird, möchte ich mich mit meinem Beitrag in die Diskussion einbringen. Die sehr dürftigen, zu einseitigen Aussagen der ZTV Baumpflege hinsichtlich Schnittzeit müssen unbedingt überarbeitet und korrigiert werden. Allgemein gibt es „die“ beste Schnittzeit nicht. Diese ist immer gekoppelt an das Ziel, das Objekt selbst und dessen Zustand, an die inneren und äußeren Bedingungen und viele weitere Einflussfaktoren. Was nicht einfach ist, sollte auch nicht einfach gemacht werden – bzw. sollte man alles so einfach wie möglich, aber so komplex wie notwendig machen.

Natürlich gibt es auch äußere Einflüsse wie Witterung, Baumumfeld, andere Prioritäten (Vogelschutz oder andere Flora oder Fauna), oder fehlendes Geld. Baumpfleger und -experten sollten sich aber erst einmal dem Baum widmen. Nur wer weiß, wie ein Baum funktioniert und reagiert, kann passende Lösungen und Maßnahmen ausarbeiten. Die Untersuchungen zu Abschottung und Wundkallus leisten einen Beitrag dazu, können aber keinesfalls als einziges Kriterium für die Festlegung einer optimalen Schnittzeit herangezogen werden.

Es ist mir ein großes Anliegen, Fehlentwicklungen bei der Schnittzeitdiskussion zu korrigieren und die Überarbeitung der ZTV Baumpflege dafür zu nutzen.

Gerne nehme ich Stellung zu meinen Äußerungen. Schreiben Sie mir einfach eine E-Mail mit Ihren Anmerkungen.

 

Der Autor: Johannes Bilharz (E-Mail)

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